Donnerstag, 22. Dezember 2011

Das muss man doch mal sagen dürfen!

Udaipur & Jaipur


"Morgen" läuft die Maschine

Tja, jetzt muss ich mein Blog leider mal missbrauchen, um mich mal ein bisschen aufzuregen. Und zwar über die Arbeiter in unserem Labor. Für meine Arbeit brauche ich eine Karde – so etwas: http://de.wikipedia.org/wiki/Kardieren - um aus einem Haufen Fasern ein Faserband herzustellen. Das ist eigentlich nichts Besonderes, allerdings ist die Karde, die hier steht, schon seit Monaten kaputt. Der Mechaniker der Herstellerfirma kommt nur, wenn im Voraus bezahlt wird, so etwas lässt das IIT aber aus grundsätzlich-bürokratischen Überlegungen nicht zu. Eine verfahrene Situation, die mir eigentlich egal wäre, wenn ich diese Maschine nicht so dringend bräuchte. Also muss ich meine geschätzten Laboranten hier dazu bringen, dieses Ding irgendwie zu reparieren und wieder in Gang zu setzen.

Problem dabei ist: die guten Leute haben nicht viel Zeit! Allerdings weniger, weil sie so viele andere Maschinen zu reparieren haben; es liegt eher an dem indischen Tee. Der muss nämlich im Abstand weniger halber Stunden regelmäßig konsumiert werden, ansonsten … weiß ich auch nicht. Daher erscheinen die Herren hier morgens, schließen das Labor auf, legen ihre Taschen ab und gehen dann wieder, um in der Teestube auf dem Campus ein Stündchen Tee trinken zu gehen. Oder zwei. Auch wenn der offizielle Arbeitsbeginn bei 9:30 liegt, kann man eigentlich nicht vor 11 Uhr damit rechnen, dass das Personal anwesend ist. Falls doch 90 % der Leute da sind, fehlt trotzdem immer genau derjenige, der die benötige Maschine bedienen kann. Oder die Maschine kann nur von allen gemeinsam bedient werden.

Falls man sich dann um 10 verabredet hat, um von dem Elektriker ein Bauteil checken zu lassen, und falls dann alle um 11 da sind, dreht der Elektriker an zwei Schrauben, stellt fest, dass es nicht den gewünschten Effekt bringt, wackelt hilflos mit dem Kopf und verschwindet wieder. Daraufhin versichert der Rest, dass er es in 15 Minuten noch mal versuchen würde, und verschwindet auch. Da war es 11:15. Danach ist wieder Tee-Zeit, die fließend in die Mittagspause übergeht. Daraufhin ein Verdauungstee und zack! – um 15 Uhr steht wieder jemand an der Maschine. Dieser versichert mir, wenn ich ihn später irgendwo anders im Gebäude wieder treffe, dass es ein Problem gebe, die Maschine funktioniere nicht. Er würde es aber wieder versuchen. Allerdings ist es jetzt schon spät, in einer halben Stunde ist schon Feierabend (17:30), „morgen“ werde die Maschine in Betrieb genommen.

„Morgen“ ist eine sehr indische Zeitangabe, die nichts mit den normalen Wald-und-Wiesen „morgen“ in Deutschland zu tun hat. Während bei uns „morgen“ üblicherweise eine Zeitpunkt in der Schicht am nächsten Tag bedeutet, heißt morgen hier eher: ab morgen bis...
Der benötigte Zeitraum kann am nächsten Tag durch ein erneutes „morgen“ noch mal um einen Tag verlängert werden. Meine Maschine läuft inzwischen übrigens schon seit sechs Wochen „morgen“ …

An dieser Stelle höre ich schon das geneigte Publikum murmeln „das geht doch nicht…“, „…da muss man doch mal mit eiserner Hand…“, „…Fristen setzen und konsequent durchsetzen…“. Die Erfahrung hab ich leider auch schon gemacht, es hilft alles nichts. Wenn man jemanden bittet, etwas zu tun, und er sagt „gleich“ (was übrigens einem indischen „morgen“ nur mit kürzerer Laufzeit entspricht) und ist danach nicht mehr auffindbar, ist man hilflos. Das Einzige, was hilft, ist Autorität. Die hat mein Professor; wenn der danebensteht, ist Tee auf einmal zweitrangig, dann wird geklotzt. Sobald seine autoritär-professorale Aura allerdings nicht mehr in der Nähe ist, sinkt die Arbeitsgeschwindigkeit merklich.

Zur Ehrenrettung der indischen Arbeiter muss man allerdings hinzufügen, dass die Herren Arbeiter hier 1.) „alt“ sind und 2.) in einer öffentlichen Institution arbeiten. Diese hat zu einer Beamtenmentalität geführt, die ich so noch nie gesehen habe. Die Arbeiter hier bekommen das volle Programm: Wohnung, Krankenfürsorge etc. bei minimaler Kontrolle. Und das wird ausgelebt. In der indischen Privatwirtschaft sieht das – so berichtete man mir – ganz anders aus.

Ansonsten kann ich mich eigentlich nicht beklagen; da meine Maschine immer „morgen“ läuft, habe ich „heute“ ausreichend Freizeit, die ich mit Sightseeing, Partys und Entspannung verbringen kann. Allerdings rückt auch der Abgabetermin meiner Arbeit näher, was bei jeder Entspannungstätigkeit so ein unangenehmes Klopfen im Hinterkopf erzeugt…

Das indische Zugsystem, Teil II

Übers Wochenende versuche ich immer, raus aus Delhi zu kommen und soviel wie möglich von Indien zu sehen. Das hat allerdings seine Tücken, weil man schon Jahre im Voraus planen muss. Ja, auch in Indien, manchmal glaubt man es nicht. Auch wenn man sein Ticket schon 4 Wochen vor Reisebeginn bestellt (möglich sind bis zu 90 Tage), sind die Züge meistens schon ausgebucht. Das ist grundsätzlich nicht schlimm, man kann einfach das gewünschte Ticket bezahlen und sich dann damit auf eine Warteliste schreiben lassen. Fall dann ausreichend viele Menschen ihre ursprünglich gebuchten Tickets stornieren, darf man trotzdem noch mitfahren. Falls nicht, bekommt man sein Geld zurück.

Da die Stornierungsgebühr für eine Zugfahrt bei etwa 30 Cent liegt, was auch für indische Verhältnisse wenig ist, buchen viele Leute einfach für ein Wochenende viele verschiedene Zugtickets und stornieren dann wenige Tage vorher alle, bis auf eines. So kann es passieren, dass man vom Wartelistenplatz 35 plötzlich auf 1 rutscht und dann sogar noch tiefer. Das bedeutet allerdings nicht, dass man dann automatisch den gewünschen Platz im Zug bekommt, nein. In diesem Fall fährt man im Status „Reservation against Cancellation (RAC)“ mit, das ist ein transzendenter Zwischenzustand eines Tickets zwischen „bestätigt“ und „nicht bestätigt“. Das bedeutet soviel, wie „man kommt an Bord, aber ohne festen Platz“. Wenn man dann im Zug ist, wird geschaut, ob noch ein Bett frei ist, z. B. weil jemand seinen Zug verpasst hat. Wenn ja: Super. Wenn nein: Muss man sich mit einem anderen RAC-Passagier ein Bett teilen, welches dann zu zwei Sitzplätzen umfunktioniert wird.

All diese Prozesse sind im stetigen Fluss, man kann also alle paar Stunden im Internet seinen Wartelistenstatus abrufen und bekommt immer ein neues Ergebnis. Manchmal ist man auf der Liste nach unten gerückt, manchmal haben auch wichtige Beamte ein Ticket gebucht, die bevorzugt Tickets bekommen, dann kann man auch wieder nach oben rücken (passiert glücklicherweise selten). Wenige Stunden vor Abfahrt des Zuges wird „die endgültige Liste“ geschrieben. Während dieses Prozesses werden die verfügbaren Betten gezählt, von denen üblicherweise ein gewisser Anteil Soldaten, alten Frauen, Helden der Republik usw. vorbehalten werden. Wenn keine alte Frau ein Bett gebucht hat, wird dieses leere Bett zwei RAC-Fahrgästen zugeschlagen (Ein Bett = Zwei Sitzplätze). Wenn auch kein Held der Republik an Bord ist, haben noch zwei RAC-Fahrgäste Glück. Und so weiter…

Falls sich jetzt herausstellt, dass z. B. in der 1. Klasse, Klimaanlagen, nur 3 von 4 Betten belegt sind, werden Passagiere aus einer tieferen Wagenklasse „hochgebucht“ (wie im Flugzeug). Wenn man Glück hat, bekommt man also dann sogar ein besseres Bett, als man bezahlt hat…

Auch hier bemerkt man wieder die große Liebe der Inder zur Bürokratie, da wird mit Listen und Tabellen geworfen, dass es nur so eine Freude ist. Der Knüller ist aber eigentlich das offizielle Prozedere, wenn man ein Ticket buchen möchte. Zum Schalter gehen und „von New-Delhi nach Hamm-Uentrop“ sagen funktioniert nämlich nicht; selbst dafür braucht man ein Formular. Motivierte können es hier http://www.indianrail.gov.in/resr_form.html herunterladen und zum Üben schon mal ausfüllen. Glücklicherweise gibt es auch in Indien Reisebüros und Agenturen, die solche Dienste für kleines Geld erledigen.

All dem zum Trotz muss ich allerdings auch hier wieder eine Lanze für das System brechen: es funktioniert! Man weiß zwar nie, ob man morgen mit dem Zug weg kommt oder nicht und erfährt das auch erst ein paar Stunden vor Abfahrt, aber es wird nie ein Platz verschwendet. Und es wollen deutlich mehr Inder (und blöde Ausländer) Bahn fahren, als es Plätze gibt …

Ein Schritt näher zum Walk of Fame!

Ansonsten habe ich letztens noch meine atemberaubende Star-Karriere vorangetrieben und einen Radiospot aufgenommen für die Kodak-Mahindra Bank. Noch nie zuvor hat mir jemand versichert, dass er meine „Stimme liebt“! In der 6. Klasse durfte ich noch nicht mal eine Sprechrolle im Weihnachtsspiel haben, weil meine Stimme zu leise sei. Das vergesse ich nicht, Herr Franck! Allerdings musste ich meinen fiesesten deutschen Akzent hervorkramen, um eine Ansage am Flughafen Frankfurt zu imitieren. Hoffentlich sind die Inder, die meinen Spot hören, genauso ekstatisch begeistert wie der Audio-Regisseur. Ich sollte vielleicht anfangen, neue Autogrammkarten drucken zu lassen …

DIE EIGENART DER WOCHE: Der Tata Nano

Der Tata Nano ist ein besonders hässliches Modell eines indischen Winzigkleinwagens, das besonders wegen seines günstigen Anschaffungspreises in die Schlagzeilen, in Indien wie bei uns, geraten ist. Zu einem Preis von einem Lakh kann man den Anschaffungspreis verschmerzen und trotz des schleppenden Verkaufs zu Anfang hat die Herstellerfirma dieses Jahr etwa 80000 Stück verkauft und damit einen Umsatz von etwa 72 Crores Rupien Umsatz gemacht.

Wie bitte, Lakh, Crore? Jaaaa, der Inder zählt nicht so wie wir, der hat sich ein anderes System zur Abtrennung von Stellen ausgedacht. Und auch, wenn es jedem von uns gottgegeben erscheint, dass man Zahlen immer in niedlichen Dreierpäckchen abtrennt (z. B. 132.456.789), ist dem in Südasien nicht so. So verdient man hier also nicht 3.000.000 Rupien, sondern 30 Lakh, wobei ein Lakh 100.000 entspricht. Dementsprechend sieht hier auch die Zifferngrupierung aus, ich würde auf meinen Gehaltsscheck „30.00.000“ Rupien schreiben, mit dem Trennzeichen nach der „30“ um die Anzahl an Lakhs anzugeben. Das System setzt sich mit der Einheit Crore fort, die 10 Millionen darstellt. 306 Millionen Rupien wären dann? Genau, 30.60.00.000, also 30 Crore und 60 Lakhs.

Der Ausdruck „Million“ ist hier zwar bekannt, aber genauso unüblich wie bei uns Crores und Lakhs. Folgerichtig gibt es hier auch kein „Wer wird Millionär“, sondern nur „Wer wird Crorionär“ im Fernsehen. Und auch Wikipedia ist keine Ausnahme, „Undergraduate Programs“, letzter Satz: http://en.wikipedia.org/wiki/Indian_Institute_of_Technology_Delhi#Undergraduate_programs

Das alles ist für den armen Europäer natürlich ausgesprochen verwirrend! Ausgeschrieben sind die Zahlen leider nicht zwingend einfacher, da muss man immer erstmal die Stellen zählen, um eine Idee von der Größenordnung zu bekommen, da einen die Abtrennung in Zweierpäckchen ganz wuschig macht.

Aber man muss sich natürlich daran gewöhnen. Ich habe mir zumindest schon mal gemerkt, dass „1 Lakh Rupien“ etwa 1500 € entspricht, „1 Crore Rupien“ sind dann etwa 150.000 €. Damit kommt man zumeist ganz gut über die Runden …

Ein Lakh Grüße aus dem verrückten Indien! (1.00.000)


Nachtrag 1: Heute ist morgen! Meine Maschine läuft und produziert Faserbänder! Hurra! Leider ist die Qualität noch nicht absolut überzeugend, aber das kommt wohl noch, sage man mir …

Nachtrag 2: Zu früh gefreut! Mit einem fiesen Knirschen kommt die Maschine wieder zum Stehen. Die metergroße, schnell rotierende Trommel im Inneren ist mit einer Art feinem Sägezahn-Draht bespannt, der sich gelöst hat und sich bei hoher Geschwindigkeit meterweise irgendwie in der Maschine verwickelt hat. Aber bald kommt jemand und repariert auch dieses Problem. Wobei „bald“ zeitlich noch hinter „morgen“ liegt! Wenigstens habe ich inzwischen genügend Faserbänder, um schon mal mit meinen Versuchen anfangen zu können, hoffe ich…


Montag, 5. Dezember 2011

Hollywood in Delhi!

Hollywood in Delhi

Das Firmament verneige sich vor einem aufgehenden Star: Nämlich mir. Ich bin jetzt Hollywood-Schauspieler. Naja, vielleicht eher auch Hintergrund-Schauspieler. Böse Zungen könnten es auch als Statist bezeichnen… Wie dem auch sei, bei einem gemütlichen Essen in einem gehobenen Restaurant vor einer Woche werde ich von einer wuseligen Dame angesprochen, ob ich nicht vielleicht CIA-Agent in einer Hollywood-Produktion sein wolle. Ich hätte die richtige Größe und Statue, wie wär’s? Ich sage zu und stehe Montagmorgen in der Umkleide am Set, wo ich vom Kostümmeister nach seiner Vorstellung eines Spezialagenten eingekleidet werde. Danach bekomme ich vom Waffenmeister eine Maschinenpistole in die Hand gedrückt und schon geht es los…

Die zu drehende Szene spielt auf einem Markt in Pakistan, auf welchem Liev Schreiber in seiner Rolle als „Bobby“ mit einer Geisel aus einem Haus auf den Markt stürmt und dort von einem wütenden Mob empfangen wird. Nach einem kurzen Gemenge löst sich ein Schuss, „Bobby“ hält sich das blutende Bein und die Menge ist drauf und dran ihn zu zerfleischen. In diesem Moment rasen zwei SUV – unter Tomatenfeuer der aufgebrachten Menge – durch ein Tor, halten den Mob mit automatischen Waffen in Schach, laden den verwundeten Bobby ein und rasen mit dem Geretteten (und unterstützt von der pakistanischen Polizei) von dannen.


Da das allgemeine Klima in Pakistan gerade nicht zu einem Hollywood-Dreh einlädt und man praktisch keinen Unterschied zwischen einem randalierendem pakistanischen und einem randalierenden indischen Mob sieht, wird dieser Filmschnipsel Delhi hergestellt. Um das muslimisch-extremistische Umfeld trotzdem abzubilden, wird der Film in der Anglo-Arabic-School in Delhi gedreht. Die ist vor Jahrhunderten ganz im arabischen Stil gebaut worden und unter den kunstvollen Händen der Bühnenbildner hat sich der triste Schulhof in einen pulsierenden Markt vor arabischem Hintergrund verwandelt. Besonders fasziniert haben mich das alte Markthaus mit den kleinen Geschäften dort, das aussieht, als stünde es schon seit hundert Jahren dort, aber eigentlich nur ein Satz Wände aus Holz und Plastik ist. Die Illusion ist absolut perfekt! Zusätzlich hat man noch von den Straßen Delhis allerlei Händler mit ihren Ständen rekrutiert, die teilnahmslos ihre Datteln feilbieten oder Zwiebeln für ihre Grillspießchen am Set schneiden, ohne jemals etwas zu verkaufen. Manchmal allerdings nutzen die indischen Statisten die Chance und erwerben von einem Deckenhändler eine Winterdecke (sehr günstig!) oder kaufen dem Zigaretten- und Süßigkeitenhändler Zigaretten und Süßigkeiten ab.

Für die Schulkinder der Anglo-Arabic-School ist das ganze Tohuwabohu natürlich ein einziges Fest, der normale Schulbetrieb geht (offiziell) ganz ungestört weiter. Trotzdem bemannen die Kinder in ihren Schuluniformen natürlich jedes verfügbare Fenster und jede Zinne, um dem abenteuerlichen Treiben auf ihrem Schulhof zuzusehen. Wer könnte es ihnen verdenken, wenn unten geschossen und geschrien wird möchte keiner still Mathe lernen…

Auch außerhalb der Schule sammeln sich Schaulustige, die immer nur einen Blick auf die Szene durch das kurz geöffnete Tor erhaschen können, aber von den Sicherheitsleuten daran gehindert werden, die Szene tatsächlich zu betreten. Die Dreistesten versuchen es allerdings trotzdem und kommen meistens sogar damit durch, werden dann allerdings am Set schnell wieder herausgefischt. Erkannt werden sie meistens durch das dämlich-unschuldige Grinsen, das sie aufsetzen, wenn sie auffällig-unauffällig zwischen den anderen Statisten umherschlendern.

Doch zurück zu den eigentlichen Helden des Films, den Statisten. Ich stürme also dort mit einer Handvoll schwerbewaffneten Nicht-Indern waffenstarrend besagten Markt, um Bobby zu retten. Der Tomatenregen, der das erste Auto empfängt wirkt sich leider auch auf einige meiner Mitstreiter aus, es gibt einen Volltreffer ins Gesicht zu verzeichnen. Überall Blut! Ach nee, Tomatensaft… Ich habe Glück und komme nur mit ein paar Spritzern Saft davon. Sobald wir uns dann auf dem Markt in Position gebracht haben, dürfen die größten und bulligsten der Kollegen den angeschossenen Helden ins Auto werfen, während wir anderen (ich bin weder groß noch bullig genug dafür) die Menge mit Zurufen und Waffenfuchteln in Schach zu halten versuchen … „Stop, Cut!“ Jaha, hier lernen wir ganz schnell, dass auch richtiges Waffenfuchteln gelernt werden muss. Wir werden belehrt, dass wir viel zorniger aufzutreten haben und uns bewusst sein sollen, dass wir der ganzen Bande mit einem Hebelzug den Garaus machen können. Klick, tot. Derartig angezornt können wir im nächsten Versuch schon viel aggressiver auftreten und steigern uns dann von Dreh zu Dreh zu wahren Kampfmaschinen.


Die Dramaturgie sieht danach vor, dass nach vollbrachter Rettung die Agenten in die Wagen springen und zwei Kollegen und ich auf dem letzten Auto „außenstehend“ davondüsen. Hier liegt allerdings auch der Teufel im Detail, der Fahrer des entsprechenden Autos manövriert sein Gefährt gerne an uns vorbei, sodass wir demselben sehr unelegant hinterherrennen müssen, damit es uns überhaupt mitnimmt. Oder wir klettern rechtzeitig auf unsere Positionen, dann beschleunigt der Fahrer allerdings so spektakulär, dass wir in der nächsten Kurve beinahe wieder in die Arme des aufgebrachten Mobs fallen. Irgendwie scheint der Fahrer auch taub auf dem Ohr zu sein, wenn wir ihm unsere Beschwerden vortragen, so dass uns nicht anderes bleibt, als schnell zu sprinten und uns krampfhaft festzuhalten.

Wir lernen allerdings auch, dass das alles gar nicht so schlimm ist, da jede Szene sowieso 20 Mal gedreht wird. Solange dann die Kontinuität stimmt, kann man einfach die bestaussehendsten Szenen zusammenschneiden. Dann scheint alles 3 Minuten lang aus einem Guss zu sein, obwohl wir 2.5 Tage die gleiche Szene immer und immer wieder gedreht haben. Daher eine weitere wichtige Lektion für meine Schauspieler-Karriere: Man braucht Geduld, und davon nicht wenig. Die meiste Zeit des Tage verbringen wir mit „in Position warten“, „am Set warten“ oder „im Essenszelt warten“ (letzteres leider oft viel zu kurz). Wenn wir nicht warten, drehen wir die gleiche Szene wieder und wieder. Immer stimmt irgendein Detail nicht, Licht, Ton, was auch immer. Und selbst wenn alles stimmt, wird die Kamera umgesetzt und die ganze Szene noch mal aus einem anderen Winkel gedreht.

Aber egal wie lange es dauert: für leibliches Wohl ist immer gut gesorgt, jederzeit findet sich jemand, der einem Snacks, Getränke oder andere Köstlichkeiten serviert. Frühstück und Abendessen sind ebenfalls hervorragend, ich habe seit gefühlten Jahren endlich mal wieder Nudelsalat gegessen ... (so richtig schön fett, mit Mayonnaise)

Ebenfalls lerne ich hier sehr eindrucksvoll, dass auch im „professionellen Hollywood“ mehr Chaos als Ordnung herrscht. Es gibt zwar eine generelle Dramaturgie und einen relativ genauen Ablaufplan, aber die Regisseurin, Mira Nair, entscheidet am Set dann doch eher aus dem Bauch heraus und nach Verfügbarkeit von Ressourcen. Und bei jeder Szene wird improvisiert, was das Zeug hält. Ein Mitarbeiter hat zum Beispiel am Set ein raffiniertes Verfahren entwickelt, Tomatenmatsche aus frischen Tomaten zu produzieren, um das tomaten-bombardierte Auto, das vorweg fährt, bei jedem Auftritt wieder genauso einzusauen, wie es beim ersten echten Bombardement aussah. „Kontinuität“, jeder Gegenstand muss so aussehen wie in der letzten Szene, ist das Schlüsselwort. Die Armbanduhrenträger müssen sogar ihre Uhren immer wieder auf die „richtige Zeit“ zurückstellen. Trotzdem hat man als Mitwirkender bei jeder Szene das Gefühl, dass jetzt eigentlich alles ganz anders als vorher aussieht, Haare liegen anders, Leute stehen anders. Trotzdem muss man ja sagen, dass bei fertigen Filmen so was immer relativ selten auffällt. Nur gestanden Film-Fans stellen dann üblicherweise unzählige Kontinuitätsfehler fest und füllen damit die IMDB-Fehler-Datenbank. Ich bin ja mal gespannt, wie „unsere Szene“ dann in der endgültigen Version aussieht.



Vor einigen Tagen durfen wir noch eine ergänzende Szene drehen, im „Safehouse“, dem Beobachtungsposten über dem Marktplatz aus der ersten Szene. Dort gehen wir alle sehr wichtigen Geheimdiensttätigkeiten bei der Observation nach. Dazu gehören „mit einem nicht eingesteckten Kopfhörer Gespräche abhören“, „auf zwei Rechnern in Standbilder herein- und herauszoomen“, „von Generalstabskarten irgendetwas auf ein Klemmbrett übertragen“, „Fotos von Verdächtigen an Pinnwände pinnen“ und zu guter Letzt natürlich „Waffen testen, Magazin rein und raus und – darauf hatten alle gewartet – ‚rickrack!‘ die Waffe durchladen“.

Interessant war hier die Zusammenarbeit mit den „professionellen Schauspielern“. Während Statisten nur Anweisungen von den Hilfsregisseuren bekommen („Stell dich hierhin und schau böse!“), versuchen sich die Profis immer an einer Interpretation. „Steht er nicht unter allergrößten, inneren Anspannung? Sollt er daher nicht mit dem Stift gestikulieren? Ich sollte vielleicht besser hier eine dramaturgische Pause einfügen.“

Auch hier haben ein paar Sekunden Film wieder einen ganzen Tag gedauert, jede Einstellung wurde zigmal gedreht. Und selbst wenn alles perfekt im Kasten war, nahmen wir die Szene noch mal auf, nur so zur Sicherheit, „Roll sound! - Sound is rolling… - Take 512, Safehouse! - Aaaaaaaaaand action!“. Aber jetzt ist es geschafft, ich bin wirklich sehr auf das Endergebnis gespannt.

Ich erwarte natürlich jetzt von jedem Blogleser, dass er diesen Film ansieht, um meine Popularität im Filmbusiness zu steigern. Ich habe mir von der Produzentin sagen lassen, dass das  ein klassischer „September-Film“ sei. Kein großer Sommer-Spaß-Film, sondern eher etwas nachdenklicher, für Leute mit Anspruch. Das seid ihr!



DIE EIGENART DER WOCHE: Der Nepp als sportliche Disziplin
Jaaaa, es ist schon ziemlich nervig, dass Inder das Betrügen von Touristen als sportliche Leistung anzusehen scheinen. Glücklicherweise ist auf den meisten Industrieprodukten ein maximaler Verkaufspreis aufgedruckt, der bei den Verhandlungen hilft. Dann weiß man, dass eine Flasche Wasser 12 Rupien kosten sollte. Das hält den Verkäufer natürlich nicht davon ab, scheinheilig für zwei Flaschen 30 Rupien zu wollen. Angesprochen auf den aufgedruckten Preis korrigiert er sich schnell auf 24 Rupien, man kann’s ja mal versuchen. Manchmal bleibt er auch bei den 30 Rupien, weil das Wasser kalt ist oder weil er vorher nicht reingespuckt hat. Und das ist leider überall so. Wenn man irgendjemand nach dem Preis – zum Beispiel einer Portion Essen fragt – ist das Prozedere immer das gleiche. Der Gefragte schaut fragend seine Mitverkäufer an, die wiegen ein bisschen bedächtig den Kopf, überlegen, und nennen dann einen Preis. Klares Zeichen: hier wird abgeschätzt, wie viel man dem Weißen wohl aus der Tasche ziehen kann. Dann zahle ich halt 30 Rupien für eine Portion, während der kleine Knirps neben mir sich seine Portion für 10 abholt. Das bringt mich nicht um, fühlt sich aber nicht gut an. In dem Fall war es ja auch „nur“ der 3fache Preis, ein Autorikscha-Fahrer, der uns noch für 80 Rupien in Jodhpur auf den Burgberg gefahren hatte, wollte von einem einzelnen Fahrer für die Fahrt runter (ohne indische Vermittler) auf einmal 500 Rupien haben.

Manchmal ist das ja ganz lustig, aber oft hat man auch einfach keinen Bock sich mit 5 Taxifahrern zu streiten, bevor einer einen vernünftigen Preis bietet. Da ist mir Deutschland – mit seinen fixen und ausgeschriebenen Preisen – dann doch lieber.

Auf der anderen Seite kann man mit dem fixen und ausgeschriebenen Preis eines deutschen Taxis eine ganze Armee von indischen Rikschafahrern auf der gleichen Strecke beschäftigen, die einen nachher vermutlich noch zwei Stunden für die großzügige Zuwendung dankbar anbeten würden. Alles hat seine Vor- und Nachteile…


Freitag, 11. November 2011

Inder drehen am Rad - oder: die Formel 1 in Delhi

11. November 2011

Was hat die Inder letztes Wochenende ganz aufgekratzt werden lassen? Die Formel 1. Und warum? Weil es die erste Formel 1 in Indien war. Und wer hat dazu beigetragen, dass die ganze Geschichte dann auch tatsächlich erfolgreich über die Bühne ging? Genau…

Nun gut, man muss vielleicht dazusagen, dass mein Job nicht weltbewegend war. Ich war einer von vielen hundert Freiwilligen, die sich über ganz Indien verteilt bereit erklärt hatten ihre Zeit und ihr Gehör zu opfern, um die Organisatoren dieses Rennsportspektakels zu unterstützen. Die meisten dieser Freiwilligen hatten sich schon Monate im Voraus beworben und waren bereits vor zwei Monaten zu einem „ersten Probetraining“ angereist. Ich hatte das – je nach Betrachtungsweise – etwas (un)eleganter gelöst, und habe mich von einem Kollegen kurz-vor-knapp in diese Gruppe hoch motivierter Inder einschmuggeln lassen.

Nachdem also alle am Montag vor dem Rennbeginn in Delhi angekommen sind, werden wir in einer riesigen, noch unbezogenen Appartmentanlage einquartiert. Dabei werden die fertigen Appartments in „Hotelzimmer“ umfunktioniert: Betten reinstellen, abgepackte Seifenstücke in die Badezimmer, fertig. Die Versammlungshalle wird zum Restaurant, das Komplex-eigene Fitnessstudio zum Briefing-Raum und im Tischtennis-Raum kann man den Roomservice für sein „Hotelzimmer“ bestellen.

Nach der ersten Begrüßung teilen sich dann die Freiwilligen entsprechend ihrer zuvor eingeteilten Gruppen auf; dabei bin ich überrascht, wie viele Aufgaben bei so einem Rennen von Freiwilligen erledigt werden. Einige schwenken Flaggen, andere koordinieren den Funkverkehr, versorgen die vielen Leute mit Wasser und Essen und wieder andere sind „Fire Marshals“, zu der meine unbedeutende Wenigkeit gehört. Je nach Gruppe bekommt man dann eine Uniform zugeteilt, praktisch alle Helfer bekommen einen luftig-leichten Baumwoll-Overall, in Kombination zu tragen mit einer komfortablen Basecap. Die Feuerwehrleute bekommen hingegen einen 3-lagigen Aramid-Overall, eine flammhemmende Sturmhaube, eine Sicherheits-Schutzbrille, Aramidhandschuhe und – ich verfluche sie bis heute – 1100 V durchschlagfeste Gummihandschuhe, die über den Aramidhandschuhen getragen werden müssen um zu verhindern, dass sich die elektrischen Systeme der Rennwagen in die Helfer entladen. Schon alleine der Anblick dieser Montur treibt einem die ersten Schweißperlen auf die Stirn. Und später dann, nachdem wir alle auf unseren Positionen auf der Strecke abgeladen worden sind und unsere volle Montur in der Sonne anlegen, dürfen wir Feuerwehrleute feststellen, dass es unter der ganzen Ausrüstung noch deutlich wärmer ist, als sich das zuvor anhörte. Und während die Flaggenschwenker und Funker in einem kleinen Häuschen sitzen dürfen, müssen die Feuerwehrleute in der prallen Sonne stehen. Manchmal ist das Leben nicht fair.

Nachdem wir alle ja schon am Montag vor dem Rennen angekommen sind, sollten die nächsten Tage mit knallhartem Training gefüllt werden, um uns auf die anspruchsvollen Aufgaben vorzubereiten, die da kommen mögen. Die Organisation des Trainings ist allerdings ausgesprochen indisch; versprochen ist zum Beispiel ein Auto, das die Strecke abfährt, plötzlich anhält, der Fahrer aus dem Wagen springt und ein Schild „Feuer!“ hochhält. Daraufhin soll dann alles Rettungspersonal des entsprechenden Streckenpostens heranwuseln und eine Löschaktion simulieren. Problem allerdings in der Leitzentrale ist: niemand hat daran gedacht, das „Feuer!“ Schild zu besorgen. Nachdem das dann aufgefallen ist, aber alle Helfer schon in voller Ausrüstung an der Strecke stehen, versucht man – erfolglos – zu improvisieren. So wird die Übung nach 2 Stunden rumstehen einfach wieder abgesagt. So und ähnlich beschäftigen wir uns die nächsten Tage; das ist zwar nicht effektiv, aber eigentlich ganz amüsant.

An meinem Streckenposten stehen viele lustige Inder, mit denen ich viel scherze und Spaß habe. Das einzige Problem tut sich immer dann auf, wenn das Thema auf die Formel 1 fällt. Die lieben Kollegen sind natürlich alle überzeugte Fans und haben oft viel auf sich genommen, um diese Woche da zu sein. Ich hingegen habe keine Ahnung von Formel 1, mich aber mit dem Hinweis, ich sei ein großer Formel 1 Fan in die Helferschar schmuggeln lassen. Sobald also irgendjemand versucht, mit mir ein Fachgespräch anzufangen, bricht mir immer unter meinem eh schon heißen Overall noch mehr Schweiß aus. Oft sind die Gespräche noch relativ leicht für mich zu meistern, mit Dingen wie „Sehr schöne Strecke, sicherlich wird Vettel gewinnen, ja, Schuhmacher fährt auch sehr gut, aber Vettel ist besser“ in verschiedenen Variationen kann man sich sicherlich 20 Minuten über Wasser halten. Wenn dann allerdings das Thema auf andere Fahrer fällt – die ich samt und sonders nicht kenne – oder technische Details der Rennwagen – von denen ich genauso wenig Ahnung habe – wird das Gespräch immer gefährlich. In solchen Fällen sind die meisten Gesprächspartner zumindest zufrieden, wenn man viel lächelt und viel zustimmt. Und dann flott das Thema wechselt, zum Beispiel auf die Qualität des heutigen Mittagessens. Bei besonders hartnäckigen Fans kann man auch mit plötzlichem Harndrang der Aufdeckung der absoluten Ahnungslosigkeit entgehen; das habe ich in der meisten Zeit auch ganz gut gemeistert. Dann und wann bin ich allerdings doch blöd aufgefallen, wenn meine Fragen wohl zu dumm waren. Mein engster Verbündeter und bester Freund an meinem Streckenposten hat mich, glaube ich, auch durchschaut, zumindest den Blicken nach zu urteilen, die er mir manchmal zugeworfen hat und den Erklärungen für Dumme, die er mir irgendwann ungefragt angefangen hat mitzuteilen.

Zwischendurch treffen noch Unterstützungskräfte aus Bahrain ein, die vom Veranstalter aufgrund ihrer Erfahrung im Ausrichten von solchen Ereignissen eingeladen worden sind. Lustige Typen sind das, haben sich ausgehandelt, dass sie im besten Hotel der Stadt untergebracht werden, weil sie unsere Herberge zu dreckig und unhygienisch fanden (womit sie sicherlich nicht Unrecht hatten). Der Chef-Bahraini instruiere uns jeden morgen, ohne dabei jemals vergessen zu erwähnen, dass wir es ja alle gut hätten. „In Bahrein müssen die Feuerwehrmänner alleine, 5 Stunden in freier Wüste, in praller Sonne bei 45 °C Wache halten!“ Wir freunden uns trotzdem schnell mit unseren arabischen Mentoren an, auch wenn manche von ihnen seltsame Vorstellungen von Smalltalk haben (Ein professioneller Feuerwehrmann, der 40 Minuten aus seinem Berufsalltag von durchtrennten Körpern und verbrannten Menschen plaudert…)

Nach zwei Tagen knallharten Trainings ist Mittwoch erstmal frei, denn es ist Diwali, das Lichterfest. Zur Feier dieses hohen Feiertages wird das ganze Haus – innen und außen – mit Lichterketten, Kerzen, Öllampen und allem, was sonst irgendwie leuchtet geschmückt. Das sieht sehr schön aus, wenn man nachts durch die Stadt fährt und alle Wohnungen strahlen hell und einladend. Aber ein so dezentes Fest wäre ja wohl kein sehr indisches Fest, nur Lichter? Richtig, Böller und Feuerwerk gehört auch noch dazu. Und das nicht nur ein bisschen. Gezündet wird alles, vom Kinder-Kracher bis zur Multi-Kilotonnen-Bombe. Die meisten Kracher, die man hört, würden vermutlich sogar die meisten Polen zu brisant finden, die Sprengkraft scheint ungeheuerlich. Ich möchte nicht wissen, wie viele Gliedmaßen dieses Diwali getrennt von ihren eigentlichen Besitzern beenden. Neben Häuser-schmücken und ganze-Straßenzüge-in-die-Luft-jagen trifft man sich auch noch mit seiner Familie und guten Freunden, schenkt sich gegenseitig Süßigkeiten und verzehrt diese in ungeheuren Mengen. Ich feiere mit indischen Freunden, zuerst bei den Eltern eines Freundes, die bewusst versuchen, mich mit einem gezielten Zuckerschock  umzubringen, davon bin ich fest überzeugt. Danach wird bei einem anderen Freund weitergefeiert, dort mit weniger Süßwaren und mehr Bier, was wohl auch eine legitime Art zu feiern ist.

Tags drauf geht es wieder zurück auf die Strecke, damit wir dort in aller Herrgottsfrühe bereit für die nächste Übung stehen, die wieder nur ansatzweise stattfindet. Interessanter wird es dann am nächsten Tag, da fangen die ersten Vorrennen an, da sieht man dann die ersten vernünftigen Rennwagen. Und ich muss sagen: Auch wenn man die ersten paar Runden das unglaubliche Geräusch so eines Boliden – gerade als Maschinenbauer – noch als süßesten Violinenklang empfindet, ändert sich diese Empfindung ziemlich schnell. Dann sitzen die Ohrenstöpsel tief im Ohr, um das Kreischen und Jaulen notdürftig wegzufiltern.

Eigentlich kann man zu den Rennen an sich gar nicht viel sagen, an unserem Posten ist nämlich (leider?) nichts passiert. Ein abgeplatztes Stück Reifen, das jemand nach dem Rennen von der Strecke fischt, ist das höchste der Gefühle. Andere Streckenposten haben mehr zu tun, da gibt’s Zusammenstöße und Unfälle. Bei uns bleibt alles ruhig. Und ich hätte mich doch so über einen zünftigen Großbrand gefreut, um mal alle unsere Feuerlöscher ausprobieren zu können, aber man kann ja nicht alles haben.

Ich muss dann auch ganz ehrlich sagen: am Sonntag, als alles vorbei ist, bin ich dann doch irgendwie froh. Es ist körperlich doch sehr anstrengend, immer in der prallen Hitze zu stehen, mit der ganzen Schutzausrüstung. Und auch wenn wir immer Eisboxen voller Softdrinks und Wasser bekommen haben, die Verpflegung auch sonst gut war und man ja eigentlich „nichts macht“ bin ich fast jeden Abend todmüde ins Bett gefallen. Nach dem „großen Rennen“ am Sonntag stürmen alle Zuschauer nach draußen, Richtung Parkplatz, um die nächsten 4 Stunden einen riesigen Stau vor dem Gelände anzulegen, während die freiwilligen Helfer zur Tribüne stürmen, um sich dort ausgiebig selbst zu feiern. Nach ein paar Ehrenrunden in einem Feuerwehrauto über die Strecke mache ich mich auf den Weg zum Ausgang des Fahrercamps, wo viele meiner autogramm-geifernden Freunde harren, um die segensreiche Gestalt von Vettel und Co. zu erspähen. Ich mache mit einigen meiner Freunde Abschiedsfotos, was einen interessanten Schneeballeffekt auslöst. Wenn so viele Leute mit dem unbekannten Westler Fotos machen, wird er wohl berühmt sein. Schlussfolgerung: ich will auch ein Foto. So mache ich also noch 15 Minuten, durchgeschwitzt und müde, mit wildfremden Menschen Fotos, die mich für reich und berühmt halten.

Später am Abend dann die Aftershow Party. Ich habe Spaß, meine indischen Kollegen beklagen allerdings, dass es wie eine Hochzeit im Punjab aussehe. Ich freue mich, auch mal eine Hochzeit im Punjab gesehen zu haben und tue mich weiter am riesigen Buffet gütlich, während auf 9 abgetrennten Quadratmetern vor der Soundanlage 120 Inder begeistert die Hände in die Luft werfen und bis zum Umfallen zu stampfendem Bollywood-House tanzen.

Am nächsten Tag folgt dann der tränenreiche Abschied, Facebook Adressen werden ausgetauscht und die Vorfreude auf das nächste, indische Rennen – und ein damit einhergehendes Wiedersehen – wird kommuniziert. Ich habe seitdem 90 neue Facebook-Freunde, die jeden Tag ein anderes Foto von sich vor einem Rennwagen hochladen. Ich bin froh, dass mich jemand in seinem Privatauto bis zur nächsten U-Bahn-Station mitnimmt, fahre bis zu mir nach Hause und falle dort, betäubt von einer anstrengen Woche, ins Bett und schlafe erstmal richtig aus.


Die Eigenart der Woche: KLOSTEINE

Ja, irgendwie hat man in Asien ein ganz besonderes Verhältnis zu den Dingern. Auch in China ist mir der häufige Gebrauch derselben schon aufgefallen, aber in Indien ist er noch extremer. Hier ist ein Klostein ein eindeutiges Muss bei einem halbwegs gepflegten Klo. Zur weiteren Klopflege reicht dann eigentlich auch, neben den langweiligen Klassikern wie „Scheuern“ und „Schrubben“, einfach weitere Klosteine hinzuzufügen. So trifft man bei besonders siffigen Pissoirs in besonders stinkenden Hausecken üblicherweise einen großen Kugelhaufen bunter Klosteine, die ausgiebige Pflege simulieren.

Die konsequente Fortführung ist dann natürlich auch die Pflege von Waschbecken, die ebenfalls mit Klosteinen realisiert werden kann. Es gibt ja eigentlich keinen systematischen Unterschied zwischen Pissoir und Waschbecken (oben Wasser rein – unten Wasser raus). Wenn der geneigte Leser also das nächste mal überlegt, wie er sein Waschbecken sauber bekommt: Erstmal einen Klostein reinlegen und dann irgendwann anders vielleicht noch mal drüber nachdenken…

Dienstag, 25. Oktober 2011

Züge und Forts


Namaste!

Eine kurze Anmerkung zu den Fotos: Um Kopfschmerzen beim Lesen durch Wackelbilder einzugrenzen, habe ich hier deutlich weniger davon eingefügt, die meisten Fotos sind statisch. Um die entsprechenden Wackelbilder zu sehen: einfach dem Link zum Web-Fotoalbum folgen!

Züge und Forts


Letztes Wochenende habe ich mich damit beschäftigt, Jodhpur in Rajasthan zu bewundern. Dafür bin ich mit einer Rotte Couchsurfer freitagnachts aufgebrochen, um über Nacht schlafenderweise mit dem Nachtzug ans Ziel zu kommen.

In diesem Zug habe ich meine erste Erfahrung mit indischen Zügen und Bahnhöfen gemacht. Du möchtest diese Erfahrung teilen? Kein Problem! Um einen indischen Bahnhof in Betrieb und eine Zugverbindung zu einem anderen aufzubauen muss man nur folgendes tun:

Schritt 1: Ein leicht heruntergekommenes Gebäude im Kolonialstil bauen. Es gibt Bonuspunkte, wenn alles etwas verwinkelt angelegt ist und die Gleisnummerierung irgendwie inkonsistent sind (Am Eingang steht man bei Gleis 10 bis 20, die restlichen Gleise sind irgendwie am anderen Ende von Gleis 10 versteckt). Gerne dürfen undurchsichtige oder irreführende Hinweisschilder aufgehängt werden.

Schritt 2: Das Gebäude füllen!Qualität: Man nehme einfach einen Querschnitt der indischen Bevölkerung, zur ethnischen Abrundung sollten noch ein paar verwirrte Ausländer hinzugefügt werden. Quantität: einige Tausend sind empfehlenswerte. Dabei ist darauf zu achten, dass etwa die Hälfte der anwesenden Personen irgendwelchen kommerziellen Tätigkeiten nachgeht (Taxiwallas, Wasserverkäufer, Touristennepper) und diese lautstark verkündet. Der reisende Teil der Bevölkerung muss entweder rennen, schlendern oder schlafen. Letzteres am besten auf ausgebreiteten Ausgaben der „Hindustan Times“, die wohl ein besonders sanftes Ruhen verspricht.

Schritt 3: Turn up the Volume! Ein indischer Bahnhof muss eine Lautstärke eines startenden Düsenjets haben. Dazu lässt man alle anwesenden Personen konstant schreien, um ihre ebenfalls schreienden Mitreisenden zu übertönen, die wiederum ihre schreienden Mitreisenden übertönen müssen. Darüber hinaus mischt man zahlreiche Lautsprecheransagen bei, die jeweils mit einem Windows-Start-Sound angekündigt werden müssen.

Schritt 4: Züge, ganz wichtig. Züge müssen blau gestrichen sein und eine verstörend große Anzahl an Klassen haben. Dazu gehören diverse klimatisierte und unklimatisierte, dicht oder weniger dicht belegte Abteile, sitzen oder schlafen. Das schlägt sich alles natürlich in verschiedenen Ticketpreisen nieder. Das Ticketsystem muss verschiedene seltsame Formen von Tickets vorsehen, dazu gehören welche, die einem das theoretische Belegen eines Bettes im Schlafwagen vorbehalten, falls einer der Passagiere nicht auftaucht, sein Bett nicht möchte oder während der Fahrt verstirbt. Falls diese Fälle nicht eintreten, muss der arme Passagier die Nacht über sitzen, stehen oder sich mit einem anderen Passagier das Bett teilen.

Nach erfolgreicher Durchführung aller dieser Schritte erhält man eine 1-zu-1 Kopie des indischen Eisenbahnsystems. Glückwunsch!

Ich habe meine Jungfernfahrt in einem unklimatisierten, 3-Bett-Schlafwaggon absolviert. Was ich natürlich nicht wusste: Man bekommt weder Decke noch Kissen in dieser Klasse, außerdem schließen die Fenster nicht richtig. Ich habe also bitterlich gefroren nachts, dazu noch mit dem Kopf auf dem Rucksack liegend war der Entspannungswert dieser Fahrt nicht gerade hoch. Angekommen sind wir aber trotzdem.

Lustig ist’s, wenn der Zug aus dem Bahnhof abfährt. Während eine Zugabfahrt in Deutschland sehr digital ist (Zug steht und kann bestiegen werden – Zug fährt und kann nicht mehr bestiegen werden) ist das in Indien eher ein fließender Prozess. Zum Abfahrtszeitpunkt setzt sich der Zug laaaangsam in Bewegung, mit offenen Türen natürlich. Die Leute schlendern allerdings immer noch auf dem Bahnhof entlang, manche springen rein, andere raus, keine allzugroße Hektik allerdings. Eile ist erst geboten, wenn der Zug das Ende des Bahnsteigs erreicht hat. Nach Passieren dieses Punktes werden die Türen allerdings immer noch nicht geschlossen, die bleiben einfach die ganze Fahrt über offen (außer jemand macht sie zu). Da kann man dann in der offenen Tür stehen und rausschauen, wie draußen die nachtschwarze Landschaft vorbeifliegt. Zwar ein bisschen gefährlich, aber sehr dicht am Leben draußen. Dann pufft man an lautstarken Hochzeitsgesellschaften, verlassen aussehend Dörfern oder belebten Straßen vorbei, Füße dicht über den Schienen und die Nase im Fahrtwind. Nice.
Blick aus der offenen Tür in perfekte, indische Nachtschwärze


Man bekommt im Zug – wenn man denn nicht mehr in der Tür sitzt – viel Kontakt mit Indern. Bis alle ins Bett gehen, sitzt man auf den untersten Liegen zusammen und schwatzt oder teilt essen miteinander und tauscht Tipps über das angesteuerte Reiseziel aus. Oder lässt sich einfach nur mit offenem Mund anstarren. Ooooooo, ein Westler...

Die Stadt Jodhpur – unser Reiseziel – ist auf jeden Fall eine Reise wert. Gelegen im unwirtlichen Rajasthan (einem Wüstenstaat) ist die Stadt noch viel indischer als Delhi. Überall laufen Kühe herum, die sich am Müll in den engen Straßen delektieren. Auch bekannt als die „blaue Stadt“, wegen der vielen mit Indigo gestrichenen Häusern, sieht die Stadt als Panorama von der alles überragenden Burg aus betrachtet sehr malerisch aus.
Blick von der Burg
Leider war ich am ersten Tag erstmal ein bisschen krank, vermutlich der unbequemen Zugfahrt geschuldet. Trotzdem habe ich die wichtigsten Sehenswürdigkeiten angeschaut, bin dann aber Abends ein bisschen früher ins Bett gegangen und habe mir den Schlaf zurückgeholt, den mir der kalte Wind im Schlafzug geklaut hat. Persönliches Highlight des Tages war die Fahrt von 8 Personen (inklusive Fahrer) in einer Autorikscha auf den Burgberg. Zum atemberaubenden Preis von 1,20€ (für alle) hat der Fahrer seinen Motor zum qualmen gebracht, mir in einigen Kurven das Gefühl gegeben, dass ich gleich aus dem Wagen falle und uns allen ein paar der schönsten Nahtoderlebnisse beschert, die man sich vorstellen kann. Nach dieser Fahrt sieht man sein Leben gleich wieder mit ganz anderen Augen!
Überlebt! Im Hintergrund schaut noch der Rickschafahrer kritisch seinen lebensmüden Fahrgästen hinterher

Am nächsten Tag haben wir die Burg von innen besichtigt, richtig gut. Es gab einen deutschen Audioguide und insgesamt viel zu sehen. Es gibt sogar noch den Original-Maharadscha! Der ist allerdings in sein Zweit-Schloss umgezogen, weil er vermutlich die Toristenhorden, die durch sein Wohnzimmer stapfen, ungemütlich fand. Nie treten die sich die Schuhe ab!

Auf der Rückfahrt am darauffolgenden Abend habe ich dann 2 € in die Hand genommen und mir ein Kissen und eine Decke gekauft. Damit wird so eine Zugfahrt doch gleich viel angenehmer.

Darüber hinaus habe diese Woche auch meine ersten Badminton und Squash-Erfahrungen gemacht. Allerdings muss ich feststellen, dass man sich wohl seinerzeit entschieden hatte, die Plätze und Hallen hier im IIT mit Betonboden auszustatten. Das hat nicht nur eine relativ bescheidene Dämpfungseigenschaft, sondern wird leider auch ganz ekelhaft glatt, sodass ich ernsthaft in Erwägung ziehe, die nächste Partie mit Schlittschuhen zu spielen. Mehr Grip hätte man damit auf jeden Fall.

DIE EIGENART DER WOCHE: Ich nehme einen Hopfentee…
Jaa, der Inder hat ein seltsames Verhältnis zu Alkohol. Die meisten Leute trinken hier entweder ordentlich, oder überhaupt nichts, irgendwas dazwischen scheint eher seltener vorzukommen. Alkohol ist allerdings auch nicht immer frei verfügbar, man bekommt ihn nur in speziellen Alkohol-Geschäften, also ein bisschen so wie in Skandinavien. Allerdings sind die Preise dort immer noch eher moderat – zumindest für die indischen Alkoholika – sodass der Zugriff auf den harten Stoff nicht wirklich beeinträchtigt ist.

Schwieriger sieht es allerdings für Gäste in der Gastronomie aus. Dort einfach ein Bier neben seinem Butter-Chicken zu schlürfen ist schon fast unmöglich, da man nur mit spezieller Alkohol-Lizenz Stoff ausschenken darf; und die haben nur wenige. Die Lokale, die eine haben, nutzen dass dann aus und sind tagsüber Restaurant, abends Bar und nachts Disco. So kann man fast rund um die Uhr ausschenken.

Das man in den meisten Lokalen kein Bier bekommt, stört den Inder an sich eher weniger; der hält sowieso von „mal eben ein Bierchen“ wenig. Unangenehm ist diese Regelung allerdings für die Lokale in Touristen-Gegenden, weil die – meist jungen Touris – genau nach so etwas verlangen. Was tut man also: genau, man schenkt illegal Alkohol aus. Da fährt dann der klapprige Lastwagen vor dem Lokal vor und es werden glasklappernd mit Tüchern verhängt Kästen und Kartons ins Lokal getragen. Was könnte da wohl drinnen sein? Und wie wird der Hopfensaft unauffällig serviert, wenn man bestellt: Richtig, in Teetassen. Darauf: Hoch die Tassen!

Mittwoch, 12. Oktober 2011

Indische Bürokratie

Wenn man – mit einem korrekten Visum eingereist – in Indien ist, muss man sich bei der Polizei registrieren, da der indische Staat gerne weiß, wo sich seine Ausländer aufhalten. Sollte ja nicht so schwierig sein, denkt man. Kurz: „hier bin ich“ sagen, gut ist. Die indische Bürokratie belehrt einen da allerdings eines Besseren.

Ich habe glücklicherweise schon gestern begonnen, alle notwendigen Formulare zu sammeln. Da wäre zum einen ein Formular, downzuloaden im Internet immerhin, das man lediglich in 3-facher Ausführung mitbringen muss. Dazu noch eine Bestätigung der Universität, eine des Wohnheims, diverse Kopien des Reisepasses und schlappe 4 Passbilder. Für die Bestätigung der Universität bräuchte ich einen HIV-Test, ein medizinisches Fitnesszeugnis, eine Kopie meiner Versicherungsunterlagen und noch ein paar Sachen mehr. Die Bestätigung vom Hostel hätte ich bekommen, wenn ich ein Formular ein Tag vorher ausgefüllt hätte und rechtzeitig an einen anderen, geheimen Ort  gebracht hätte, den man mir allerdings nicht so ganz genau in gebrochenem Englisch erklären konnte. Ich vermute, es war mein Institut gemeint, das ist allerdings nur eine Spekulation.
Das Wohnheim blieb auch hart, ein verständnisvoller Bürokrat im IIT hat mir aber netterweise schriftlich bestätigt, dass ich dort studiere und auch wohne.

Mit leicht unvollständigen Unterlagen ziehe ich also weiter zur Polizeistation. Dort bekomme ich von einer sehr unwirschen Frau vor der Polizeistation eine Wartemarke, die ich dann allerdings nie wieder brauchen werde. Innerhalb der Station werden meine Unterlagen geprüft und ich bekomme eine neue Wartemarke. Mit der darf ich dann meine Papiere zu einer weiteren Prüfung vorlegen, bei der 3 Stempel pro Formularsatz aufgebracht werden. Danach muss ich an einem anderen Pult einen neuen Ausdruck einsammeln, der – mit einem Foto versehen – wieder dreimal gestempelt wird. Danach trage ich alle Papiere zu einem Beamten, der der Vorsitzende des Büros ist und den ganzen Tag nichts anderes macht, als die vorbereiteten und vorgestempelten Papiere seiner Bürokratieknechte abzuzeichnen. Also noch fix 4 Unterschriften auf alle Formulare und: tadaaa! Fertig.

Hat alles in allem nur einen Vormittag und einen Nachmittag Formulare-sammeln benötigt. Ich glaube im Vergleich mit anderen war ich damit sogar ganz gut. Ich bin ja mal gespannt, wie meine Visumsverlängerung in ein paar Wochen abläuft …

Dienstag, 11. Oktober 2011

Hindu-Feierlichkeiten und das rote Fort


Namaste!

Inzwischen bin ich über eine Woche hier, es fühlt sich aber irgendwie schon so an, als sei ich bereits viel länger hier. Irgendwie seltsam.

Oktober ist hier in Indien „Festival-Zeit“, die ganzen großen Feste der – mir immer noch rätselhaften Hindu-Untergruppierungen – finden gerade alle statt. Das begann am Dienstag mit Durga Puja, bei der die bekannte, 10-armige Göttin names Durga und ihre Söhne verehrt werden. Diese Göttin ist als so eine Art Best-of von den anderen Göttern zusammengeschraubt worden mit dem Ziel einen fiesen Dämon ins Jenseits zu befördern. Da kommen einem 10 Arme mit jeweils einer anderen todbringenden Waffe gerade recht. Zur Erinnerung an dieses sicherlich spektakuläre Gemetzel werden dann heute in der ganzen Stadt unzählige Altäre und Festzelte gebaut und ein tagelanges Rahmenprogramm mit Spiel und Tanz abgehalten. Dabei versucht jede „Gemeinde“ mit ihrem Programm und ihrem Festzelt die anderen Gemeinden so weit wie möglich an Pomp und Kitschigkeit zu übertreffen. Per SMS kann dann der entrückte Gläubige abstimmen, welche Location ihm letztendlich am besten gefallen hat.
 In einem Festzelt, in dem ich Mittags bin, werde ich umfassend verköstigt und darf mich über kleine Inderkinder in niedlichen Anzügen amüsieren. Dazu gibt es noch lustige Gesellschaftsspiele, wie man sie sonst von Kindergeburtstagen kennt (Eierlauf etc.) bei der als Hauptpreis eine Flugreise nach Bankok ausgelobt wird.

Abends geht es dann mit einer größeren Gruppe in einen deutlich prachtvolleren Tempel, in dem meine Kollegen sich mit ihren Freunden treffen und viele Leute angeregt redend durcheinander wuseln, vor dem Altar lobpreisen, mit Blüten um sich werfen oder einfach nur die aufwendige Dekoration bewundern. Später tritt noch ein Popmusiker aus Kalkutta auf, und die aufgeregte Meute wird still und lässt sich zu Hunderten – im Schneidersitz – vor der Bühne nieder. Ich war ja noch nie so gut im „auf-dem-Boden-sitzen“, aber 2½  Stunden schneidersitzen tut dann schon ordentlich weh.  Das scheint dem Inder aber nicht so zu gehen. Das Konzert war gut, auch wenn ich natürlich nichts verstanden habe, auf jeden Fall aber ein amüsantes Erlebnis.

Zwei Tage später stand dann schon wieder das nächste Fest ins Haus, Dashahara, bei dem 3 riesige Pappmaschee Figuren von weitere bösen Dämonen unter großem Jubel verbrannt werden. Dazu gibt es erst einen Umzug, bei dem als mythologische Gestalten verkleidete Inder auf offenen Lastwagen zum Festplatz gefahren werden. Danach wird die Menge von Feuerwerk und Böllerschüssen unterhalten, bevor dann – pünktlich zu einem genau vorberechneten Zeitpunkt nach dem indischen Kalender (der allerdings bei jedem Spektakel ein bisschen anders ist, Rundungs-Ungenauigeiten, sicherlich) – die Strohballen unter den Figuren entzündet werden. Da die Figuren nicht nur aus Pappmaschee gefertigt -, sondern auch noch mit Böllern gefüllt sind, ist das Verbrennen ein lautstarkes Spektakel. Nachdem dann allerdings von den Figuren nur noch 3 Häufchen Asche übrig geblieben sind, drehen die vielen Tausend Teilnehmer praktisch auf dem Absatz um und gehen nach Hause. Ende des Abendprogramms…

Prozession auf Schrott-LKW zum Festplatz

Brennen sollen sie, die Drecks-Dämonen


Ansonsten habe ich in dieser Woche noch nach einem Supermarkt gesucht und habe – nach langer Zeit – auch einen gefunden. Irgendwie ist so etwas hier allerdings sehr unpopulär, es gibt zwar ein paar Ketten, aber nichts vergleichbar zu unseren. Auch die großen Ketten, Walmart, Carrefour und was es sonst noch so gibt, sind hier nicht vertreten. Die meisten Einkäufe werden von Indern nach wie vor in kleinen Geschäften getätigt, in denen sich die Waren bis unter die Decke stapeln und ein kauziger Ladenbesitzer über sein Hab und Gut wacht und einem auf Anfrage die Preise der einzelnen Waren mitteilt. Eigentlich seltsam, ich hätte gedacht, dass sich eine so praktische Erfindung wie ein Supermarkt mehr oder weniger weltweit durchsetzt, schon alleine aus ökonomischer Notwendigkeit. Wohl nicht …

Gestern habe ich noch das rote Fort besucht, ein UNESCO Weltkulturerbe in Delhi und sehr eindrucksvolles Bauwerk. Das beinhaltet all die Baustile, die man sich als „typisch Indisch“ vorstellt und ist ein wunderbarer Ort, um ein bisschen entspannt durch die Gegen zu schlendern und auf einer Bank in der Sonne zu dösen. Ursprünglich von den Moguln als Stärkebeweis und Regierungspalast in einem gebaut, wurde es später von den Briten zur Garnison umgebaut und mit Kasernengebäuden erweitert. Ein entspannter Ort, den auch viele indische Familien gerne besichtigen. Und während ich als Ausländer knapp 4 € eintritt zahlen muss, kommt man als Inder schon für 0,80 € rein. Ich fühle mich diskriminiert!
Leider schwebt hier auch immer über allen öffentlichen Gebäuden das Damoklesschwert eines Terroranschlages und über nationalen Heiligtümern wie dem roten Fort natürlich besonders. Daher sind die Sicherheitsvorkehrungen sehr hoch. Vor dem Eingangstor sind MG-Nester gebaut, man wird abgetastet und die Taschen werden durchsucht. Auch innerhalb des Gebäudes gibt es Sandsackbarrikaden und schwer bewaffnete Soldaten, die einen kritisch unter ihren Stahlhelmen mustern. Ähnlich sieht der Eintritt in die U-Bahn-Stationen aus, auch hier wird man durchleuchtet, abgetastet und durchsucht. Und überall auch hier wieder Sandsäcke und Soldaten.

DIE EIGENART DER WOCHE: Das Kopfschaukeln
Ja, das ist eine seltsame Sache. Wenn man zuerst mit eine Inder redet, guckt der einen beim Erzählen an und wackelt dabei mit dem Kopf. Nicht als würde er den Kopf schütteln, eher so ein bedächtig hin- und herwiegen. Genau den Eindruck hat man als Europäer dann auch erstmal, es wirkt so, als würde der Gegenüber so ein „naja, ich weiß ja nicht so recht…“ ausdrücken wollen. Letztendlich bedeutet es aber nur soviel wie „aha, okay“. Wenn man sich erstmal dran gewöhnt hat, ist das ganz lustig. Mal sehen, wie lange es braucht, bis ich das dann auch mache.
Das rote Fort von außen...

...der Vorbau...
...und das Eingangstor.   

Hierhin strömten früher die einfachen Inder, um dem Moghul ihre Probleme vorzutragen. Strömen tun sie immer noch, nur heute ohne Moghul.

Prächtig wohnt es sich so, als Moghul.

Straßenszene vor einem Markt

Shopping-Gasse!

Der Mahatma darf natürlich nicht fehlen (hier im Park)



Mittwoch, 5. Oktober 2011

Angekommen


Namaste,

ich bin inzwischen im IIT Delhi, meiner neuen Wirkungsstätte für eine 4-monatige Studienarbeit, angekommen und bin bisher sehr zufrieden. Aber vielleicht fange ich besser ganz am Anfang an, letzen Samstag:
Der Flug ist relativ entspannt, auch wenn ich auf der Strecke Düsseldorf-Dubai nur einen Mittel-Mittelplatz bekomme. Und ich war mir so sicher, dass ich das bei der Buchung anders angegeben habe. Naja, aber ich bin müde genug, als dass ich auch eingeklemmt zwischen einem seltsamen Araber, der sich mit einer Decke über dem Kopf unruhig hin- und herwirft, und einem freundlichen Deutschen selig dem Wüstenflughafen entgegendämmerte. Dort schlage ich dann gegen Mitternacht auf und bekomme einen hochwertigen Flughafen-Dubai-Essensgutschein, den ich gegen genauso hochwertiges Flughafen-Dubai-Thai-Essen tausche. Naja, zumindest essbar ist es.

Die nächste Teilstrecke ist dann umso angenehmer, ich werde auf Business-Class, Fenster, hochgestuft. Ich bin mir zwar nicht sicher, welche der Stewardessen ich mit meinem souverän müde-verschwitzten Auftreten so beeindruckt habe, aber ich habe es mir auf jeden Fall verdient. Und das Gefühl ist definit etwas anderes, wenn man sich an den einfachen Economy-Class Passagieren zum Boarding vorbeischieben darf und von einer Stewardess mit schwarzem(!) Käppchen begrüßt wird (die Stewardessen für das einfache Volk tragen rote Käppchen). Vor dem Start dann ein Gläschen Champagner, dann wird „Herr Gemmecke“ nach seiner Bestellung für das Frühstück gefragt. Joghurt, mundgerecht geschnittene Früchte, frisches Brot und duftende Croissants, dazu allerlei verrückte Köstlichkeiten und noch mehr Champagner. Danach wieder Champagner und die Frage, was der einfache Pöbel im Hinterteil des Fliegers wohl vorgeworfen bekommt. Zwischendurch ein Schläfchen in meinem Liegesessel, dann noch mehr Champagner bis zur Landung. Da muss der Champagner dann weg, „Bottoms up – good man“ wie die schwarzbehütete Stewardess es formuliert.

Danach: Landung in Delhi. Reisenotiz für die Zukunft: mit einem leichten Champagner-Schwips lässt sich der Stress nach der Ankunft gleich viel besser ertragen. Fall ich wieder Linie fliegen sollte, werde ich das nur noch in der Business-Class tun. Beschwingt nehme ich ein Taxi zu meiner Universität, das setzt mich zwar am falschen Tor ab, aber ich schwebe einfach den Weg zu meinem Hostel zu Fuß weiter, kein Problem. Wieder ausgenüchtert werde ich dort vor dem Eingang empfangen, der Professor hat dort einfach einen Doktoranden den ganzen morgen dort auf meine Ankunft warten lassen. Mein Zimmer ist einfach, spartanisch und hat den bröckeligen Charme einer Gefängniszelle, Einzelhaft. Allerdings bin ich alleine dort untergebracht, was mich doch sehr zufrieden stellt. Der inzwischen herbeigeeilte Professor begrüßt mich herzlich, alle sind sehr um mein Wohlergehen bemüht. Nach einer kurzen Dusche geht es dann mit meinem neuen Betreuer erstmal auf den Markt, Bettzeug für meine Zellenpritsche kaufen. Ein paar Rupien ärmer und ein Sweet-Love-Herzchenmotiv-Bettzeug reicher verstehe ich es, damit meiner Kammer einen gewissen heimeligen Charme einzuhauchen.



Am Tag nach meiner Ankunft werfe ich einen ersten Blick auf die Innenstadt von Delhi, irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Es ist ganz anders als in China, wo auf allen Häusern noch die Schutzfolien vom Bau draufkleben und man trotzdem schon überlegt, ob man das Gebäude vielleicht für ein noch größeres Bauprojekt wieder abreißen soll. In Delhi ist alles noch ein bisschen kolonialer und gemütlicher. Die Gebäude sind wirklich alt (und bröckeln schon ein wenig) und tragen diese imperial-britische Handschrift. Irgendwie eindrucksvoll. Manchmal hat man das Gefühl, dass gleich ein Kolonialbeamter im Tropenanzug auf einem Tiger um die Ecke geritten kommen muss.

Die nächsten Tage vergehen dann wie im Fluge, ich mache viele neue Bekanntschaften. Viele Mitbewohner, aber auch Studenten auf der Straße stellen sich mir vor, Inder sind sehr aufgeschlossen und kontaktfreudig. Natürlich vergesse ich alle Namen sofort wieder und bin mir nach einiger Zeit auch nicht mehr sicher, wen ich denn jetzt in meinem Hostel schon kenne und wen nicht. Daher habe ich mir ein freundlich-nichtssagendes Lächeln antrainiert, mit dem ich Menschen auf dem Gang begrüße, in der Hoffnung, dass sie mein Nichtwissen nicht bemerken. Ich hoffe sehr, dass ich mir meine neuen Bekanntschaften im Laufe der nächsten Tage und Wochen ein bisschen besser einprägen kann.

Alles ist auf jeden Fall bis jetzt sehr angenehm hier. Ich bin mal gespannt, was die nächsten Tagen mit den jetzt anstehen Hindu-Festen bringen werden…

Wie in meinem China-Blog versuche ich auch hier wieder, jede Woche eine speziell indische Eigenart zu sammeln. Voilà, hier die Nummer eins:

DIE EIGENART DER WOCHE: süß, Süß, SÜß!
Ich werde daheim ja schon für meinen Zuckerkonsum verlacht, aber was hier konsumiert wird, finde ja selbst ich schon grenzwertig süß. Die 4 Päckchen Zucker auf eine kleine Tasse könnte man ja vielleicht noch vertragen, genauso den hiesigen Tee, der mit seinem Brennwert ein ganzes Dorf über den Winter bringen könnte. Nur noch mit viel Wasser zu ertragen sind allerdings die Nachspeisen, die hier nach dem Abendessen gereicht werden. Hergestellt aus Zucker in Zucker an Zucker, mit einem ordentlichen Klecks Sirup. Ich bin mir über die restlichen Geschmacksnuancen außer „süß“ noch nicht im Klaren, auch wenn die indischen Kollegen immer genau wissen, welche der vielen Süßspeise ich ihnen gerade beschreiben, wenn ich Geschmack: „süß“, Form und Farbe beschreibe. Aber mit der Zeit trainiere ich hier sicherlich meinen Gaumen und kann dann auch erkennen, was die verschiedenen bunt-süßen Klumpen geschmacklich voneinander unterscheidet. Falls ich nicht vorher an massivem Diabetes erkranke und sterbe. Ich bin gespannt …