Montag, 5. Dezember 2011

Hollywood in Delhi!

Hollywood in Delhi

Das Firmament verneige sich vor einem aufgehenden Star: Nämlich mir. Ich bin jetzt Hollywood-Schauspieler. Naja, vielleicht eher auch Hintergrund-Schauspieler. Böse Zungen könnten es auch als Statist bezeichnen… Wie dem auch sei, bei einem gemütlichen Essen in einem gehobenen Restaurant vor einer Woche werde ich von einer wuseligen Dame angesprochen, ob ich nicht vielleicht CIA-Agent in einer Hollywood-Produktion sein wolle. Ich hätte die richtige Größe und Statue, wie wär’s? Ich sage zu und stehe Montagmorgen in der Umkleide am Set, wo ich vom Kostümmeister nach seiner Vorstellung eines Spezialagenten eingekleidet werde. Danach bekomme ich vom Waffenmeister eine Maschinenpistole in die Hand gedrückt und schon geht es los…

Die zu drehende Szene spielt auf einem Markt in Pakistan, auf welchem Liev Schreiber in seiner Rolle als „Bobby“ mit einer Geisel aus einem Haus auf den Markt stürmt und dort von einem wütenden Mob empfangen wird. Nach einem kurzen Gemenge löst sich ein Schuss, „Bobby“ hält sich das blutende Bein und die Menge ist drauf und dran ihn zu zerfleischen. In diesem Moment rasen zwei SUV – unter Tomatenfeuer der aufgebrachten Menge – durch ein Tor, halten den Mob mit automatischen Waffen in Schach, laden den verwundeten Bobby ein und rasen mit dem Geretteten (und unterstützt von der pakistanischen Polizei) von dannen.


Da das allgemeine Klima in Pakistan gerade nicht zu einem Hollywood-Dreh einlädt und man praktisch keinen Unterschied zwischen einem randalierendem pakistanischen und einem randalierenden indischen Mob sieht, wird dieser Filmschnipsel Delhi hergestellt. Um das muslimisch-extremistische Umfeld trotzdem abzubilden, wird der Film in der Anglo-Arabic-School in Delhi gedreht. Die ist vor Jahrhunderten ganz im arabischen Stil gebaut worden und unter den kunstvollen Händen der Bühnenbildner hat sich der triste Schulhof in einen pulsierenden Markt vor arabischem Hintergrund verwandelt. Besonders fasziniert haben mich das alte Markthaus mit den kleinen Geschäften dort, das aussieht, als stünde es schon seit hundert Jahren dort, aber eigentlich nur ein Satz Wände aus Holz und Plastik ist. Die Illusion ist absolut perfekt! Zusätzlich hat man noch von den Straßen Delhis allerlei Händler mit ihren Ständen rekrutiert, die teilnahmslos ihre Datteln feilbieten oder Zwiebeln für ihre Grillspießchen am Set schneiden, ohne jemals etwas zu verkaufen. Manchmal allerdings nutzen die indischen Statisten die Chance und erwerben von einem Deckenhändler eine Winterdecke (sehr günstig!) oder kaufen dem Zigaretten- und Süßigkeitenhändler Zigaretten und Süßigkeiten ab.

Für die Schulkinder der Anglo-Arabic-School ist das ganze Tohuwabohu natürlich ein einziges Fest, der normale Schulbetrieb geht (offiziell) ganz ungestört weiter. Trotzdem bemannen die Kinder in ihren Schuluniformen natürlich jedes verfügbare Fenster und jede Zinne, um dem abenteuerlichen Treiben auf ihrem Schulhof zuzusehen. Wer könnte es ihnen verdenken, wenn unten geschossen und geschrien wird möchte keiner still Mathe lernen…

Auch außerhalb der Schule sammeln sich Schaulustige, die immer nur einen Blick auf die Szene durch das kurz geöffnete Tor erhaschen können, aber von den Sicherheitsleuten daran gehindert werden, die Szene tatsächlich zu betreten. Die Dreistesten versuchen es allerdings trotzdem und kommen meistens sogar damit durch, werden dann allerdings am Set schnell wieder herausgefischt. Erkannt werden sie meistens durch das dämlich-unschuldige Grinsen, das sie aufsetzen, wenn sie auffällig-unauffällig zwischen den anderen Statisten umherschlendern.

Doch zurück zu den eigentlichen Helden des Films, den Statisten. Ich stürme also dort mit einer Handvoll schwerbewaffneten Nicht-Indern waffenstarrend besagten Markt, um Bobby zu retten. Der Tomatenregen, der das erste Auto empfängt wirkt sich leider auch auf einige meiner Mitstreiter aus, es gibt einen Volltreffer ins Gesicht zu verzeichnen. Überall Blut! Ach nee, Tomatensaft… Ich habe Glück und komme nur mit ein paar Spritzern Saft davon. Sobald wir uns dann auf dem Markt in Position gebracht haben, dürfen die größten und bulligsten der Kollegen den angeschossenen Helden ins Auto werfen, während wir anderen (ich bin weder groß noch bullig genug dafür) die Menge mit Zurufen und Waffenfuchteln in Schach zu halten versuchen … „Stop, Cut!“ Jaha, hier lernen wir ganz schnell, dass auch richtiges Waffenfuchteln gelernt werden muss. Wir werden belehrt, dass wir viel zorniger aufzutreten haben und uns bewusst sein sollen, dass wir der ganzen Bande mit einem Hebelzug den Garaus machen können. Klick, tot. Derartig angezornt können wir im nächsten Versuch schon viel aggressiver auftreten und steigern uns dann von Dreh zu Dreh zu wahren Kampfmaschinen.


Die Dramaturgie sieht danach vor, dass nach vollbrachter Rettung die Agenten in die Wagen springen und zwei Kollegen und ich auf dem letzten Auto „außenstehend“ davondüsen. Hier liegt allerdings auch der Teufel im Detail, der Fahrer des entsprechenden Autos manövriert sein Gefährt gerne an uns vorbei, sodass wir demselben sehr unelegant hinterherrennen müssen, damit es uns überhaupt mitnimmt. Oder wir klettern rechtzeitig auf unsere Positionen, dann beschleunigt der Fahrer allerdings so spektakulär, dass wir in der nächsten Kurve beinahe wieder in die Arme des aufgebrachten Mobs fallen. Irgendwie scheint der Fahrer auch taub auf dem Ohr zu sein, wenn wir ihm unsere Beschwerden vortragen, so dass uns nicht anderes bleibt, als schnell zu sprinten und uns krampfhaft festzuhalten.

Wir lernen allerdings auch, dass das alles gar nicht so schlimm ist, da jede Szene sowieso 20 Mal gedreht wird. Solange dann die Kontinuität stimmt, kann man einfach die bestaussehendsten Szenen zusammenschneiden. Dann scheint alles 3 Minuten lang aus einem Guss zu sein, obwohl wir 2.5 Tage die gleiche Szene immer und immer wieder gedreht haben. Daher eine weitere wichtige Lektion für meine Schauspieler-Karriere: Man braucht Geduld, und davon nicht wenig. Die meiste Zeit des Tage verbringen wir mit „in Position warten“, „am Set warten“ oder „im Essenszelt warten“ (letzteres leider oft viel zu kurz). Wenn wir nicht warten, drehen wir die gleiche Szene wieder und wieder. Immer stimmt irgendein Detail nicht, Licht, Ton, was auch immer. Und selbst wenn alles stimmt, wird die Kamera umgesetzt und die ganze Szene noch mal aus einem anderen Winkel gedreht.

Aber egal wie lange es dauert: für leibliches Wohl ist immer gut gesorgt, jederzeit findet sich jemand, der einem Snacks, Getränke oder andere Köstlichkeiten serviert. Frühstück und Abendessen sind ebenfalls hervorragend, ich habe seit gefühlten Jahren endlich mal wieder Nudelsalat gegessen ... (so richtig schön fett, mit Mayonnaise)

Ebenfalls lerne ich hier sehr eindrucksvoll, dass auch im „professionellen Hollywood“ mehr Chaos als Ordnung herrscht. Es gibt zwar eine generelle Dramaturgie und einen relativ genauen Ablaufplan, aber die Regisseurin, Mira Nair, entscheidet am Set dann doch eher aus dem Bauch heraus und nach Verfügbarkeit von Ressourcen. Und bei jeder Szene wird improvisiert, was das Zeug hält. Ein Mitarbeiter hat zum Beispiel am Set ein raffiniertes Verfahren entwickelt, Tomatenmatsche aus frischen Tomaten zu produzieren, um das tomaten-bombardierte Auto, das vorweg fährt, bei jedem Auftritt wieder genauso einzusauen, wie es beim ersten echten Bombardement aussah. „Kontinuität“, jeder Gegenstand muss so aussehen wie in der letzten Szene, ist das Schlüsselwort. Die Armbanduhrenträger müssen sogar ihre Uhren immer wieder auf die „richtige Zeit“ zurückstellen. Trotzdem hat man als Mitwirkender bei jeder Szene das Gefühl, dass jetzt eigentlich alles ganz anders als vorher aussieht, Haare liegen anders, Leute stehen anders. Trotzdem muss man ja sagen, dass bei fertigen Filmen so was immer relativ selten auffällt. Nur gestanden Film-Fans stellen dann üblicherweise unzählige Kontinuitätsfehler fest und füllen damit die IMDB-Fehler-Datenbank. Ich bin ja mal gespannt, wie „unsere Szene“ dann in der endgültigen Version aussieht.



Vor einigen Tagen durfen wir noch eine ergänzende Szene drehen, im „Safehouse“, dem Beobachtungsposten über dem Marktplatz aus der ersten Szene. Dort gehen wir alle sehr wichtigen Geheimdiensttätigkeiten bei der Observation nach. Dazu gehören „mit einem nicht eingesteckten Kopfhörer Gespräche abhören“, „auf zwei Rechnern in Standbilder herein- und herauszoomen“, „von Generalstabskarten irgendetwas auf ein Klemmbrett übertragen“, „Fotos von Verdächtigen an Pinnwände pinnen“ und zu guter Letzt natürlich „Waffen testen, Magazin rein und raus und – darauf hatten alle gewartet – ‚rickrack!‘ die Waffe durchladen“.

Interessant war hier die Zusammenarbeit mit den „professionellen Schauspielern“. Während Statisten nur Anweisungen von den Hilfsregisseuren bekommen („Stell dich hierhin und schau böse!“), versuchen sich die Profis immer an einer Interpretation. „Steht er nicht unter allergrößten, inneren Anspannung? Sollt er daher nicht mit dem Stift gestikulieren? Ich sollte vielleicht besser hier eine dramaturgische Pause einfügen.“

Auch hier haben ein paar Sekunden Film wieder einen ganzen Tag gedauert, jede Einstellung wurde zigmal gedreht. Und selbst wenn alles perfekt im Kasten war, nahmen wir die Szene noch mal auf, nur so zur Sicherheit, „Roll sound! - Sound is rolling… - Take 512, Safehouse! - Aaaaaaaaaand action!“. Aber jetzt ist es geschafft, ich bin wirklich sehr auf das Endergebnis gespannt.

Ich erwarte natürlich jetzt von jedem Blogleser, dass er diesen Film ansieht, um meine Popularität im Filmbusiness zu steigern. Ich habe mir von der Produzentin sagen lassen, dass das  ein klassischer „September-Film“ sei. Kein großer Sommer-Spaß-Film, sondern eher etwas nachdenklicher, für Leute mit Anspruch. Das seid ihr!



DIE EIGENART DER WOCHE: Der Nepp als sportliche Disziplin
Jaaaa, es ist schon ziemlich nervig, dass Inder das Betrügen von Touristen als sportliche Leistung anzusehen scheinen. Glücklicherweise ist auf den meisten Industrieprodukten ein maximaler Verkaufspreis aufgedruckt, der bei den Verhandlungen hilft. Dann weiß man, dass eine Flasche Wasser 12 Rupien kosten sollte. Das hält den Verkäufer natürlich nicht davon ab, scheinheilig für zwei Flaschen 30 Rupien zu wollen. Angesprochen auf den aufgedruckten Preis korrigiert er sich schnell auf 24 Rupien, man kann’s ja mal versuchen. Manchmal bleibt er auch bei den 30 Rupien, weil das Wasser kalt ist oder weil er vorher nicht reingespuckt hat. Und das ist leider überall so. Wenn man irgendjemand nach dem Preis – zum Beispiel einer Portion Essen fragt – ist das Prozedere immer das gleiche. Der Gefragte schaut fragend seine Mitverkäufer an, die wiegen ein bisschen bedächtig den Kopf, überlegen, und nennen dann einen Preis. Klares Zeichen: hier wird abgeschätzt, wie viel man dem Weißen wohl aus der Tasche ziehen kann. Dann zahle ich halt 30 Rupien für eine Portion, während der kleine Knirps neben mir sich seine Portion für 10 abholt. Das bringt mich nicht um, fühlt sich aber nicht gut an. In dem Fall war es ja auch „nur“ der 3fache Preis, ein Autorikscha-Fahrer, der uns noch für 80 Rupien in Jodhpur auf den Burgberg gefahren hatte, wollte von einem einzelnen Fahrer für die Fahrt runter (ohne indische Vermittler) auf einmal 500 Rupien haben.

Manchmal ist das ja ganz lustig, aber oft hat man auch einfach keinen Bock sich mit 5 Taxifahrern zu streiten, bevor einer einen vernünftigen Preis bietet. Da ist mir Deutschland – mit seinen fixen und ausgeschriebenen Preisen – dann doch lieber.

Auf der anderen Seite kann man mit dem fixen und ausgeschriebenen Preis eines deutschen Taxis eine ganze Armee von indischen Rikschafahrern auf der gleichen Strecke beschäftigen, die einen nachher vermutlich noch zwei Stunden für die großzügige Zuwendung dankbar anbeten würden. Alles hat seine Vor- und Nachteile…


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