Dienstag, 25. Oktober 2011

Züge und Forts


Namaste!

Eine kurze Anmerkung zu den Fotos: Um Kopfschmerzen beim Lesen durch Wackelbilder einzugrenzen, habe ich hier deutlich weniger davon eingefügt, die meisten Fotos sind statisch. Um die entsprechenden Wackelbilder zu sehen: einfach dem Link zum Web-Fotoalbum folgen!

Züge und Forts


Letztes Wochenende habe ich mich damit beschäftigt, Jodhpur in Rajasthan zu bewundern. Dafür bin ich mit einer Rotte Couchsurfer freitagnachts aufgebrochen, um über Nacht schlafenderweise mit dem Nachtzug ans Ziel zu kommen.

In diesem Zug habe ich meine erste Erfahrung mit indischen Zügen und Bahnhöfen gemacht. Du möchtest diese Erfahrung teilen? Kein Problem! Um einen indischen Bahnhof in Betrieb und eine Zugverbindung zu einem anderen aufzubauen muss man nur folgendes tun:

Schritt 1: Ein leicht heruntergekommenes Gebäude im Kolonialstil bauen. Es gibt Bonuspunkte, wenn alles etwas verwinkelt angelegt ist und die Gleisnummerierung irgendwie inkonsistent sind (Am Eingang steht man bei Gleis 10 bis 20, die restlichen Gleise sind irgendwie am anderen Ende von Gleis 10 versteckt). Gerne dürfen undurchsichtige oder irreführende Hinweisschilder aufgehängt werden.

Schritt 2: Das Gebäude füllen!Qualität: Man nehme einfach einen Querschnitt der indischen Bevölkerung, zur ethnischen Abrundung sollten noch ein paar verwirrte Ausländer hinzugefügt werden. Quantität: einige Tausend sind empfehlenswerte. Dabei ist darauf zu achten, dass etwa die Hälfte der anwesenden Personen irgendwelchen kommerziellen Tätigkeiten nachgeht (Taxiwallas, Wasserverkäufer, Touristennepper) und diese lautstark verkündet. Der reisende Teil der Bevölkerung muss entweder rennen, schlendern oder schlafen. Letzteres am besten auf ausgebreiteten Ausgaben der „Hindustan Times“, die wohl ein besonders sanftes Ruhen verspricht.

Schritt 3: Turn up the Volume! Ein indischer Bahnhof muss eine Lautstärke eines startenden Düsenjets haben. Dazu lässt man alle anwesenden Personen konstant schreien, um ihre ebenfalls schreienden Mitreisenden zu übertönen, die wiederum ihre schreienden Mitreisenden übertönen müssen. Darüber hinaus mischt man zahlreiche Lautsprecheransagen bei, die jeweils mit einem Windows-Start-Sound angekündigt werden müssen.

Schritt 4: Züge, ganz wichtig. Züge müssen blau gestrichen sein und eine verstörend große Anzahl an Klassen haben. Dazu gehören diverse klimatisierte und unklimatisierte, dicht oder weniger dicht belegte Abteile, sitzen oder schlafen. Das schlägt sich alles natürlich in verschiedenen Ticketpreisen nieder. Das Ticketsystem muss verschiedene seltsame Formen von Tickets vorsehen, dazu gehören welche, die einem das theoretische Belegen eines Bettes im Schlafwagen vorbehalten, falls einer der Passagiere nicht auftaucht, sein Bett nicht möchte oder während der Fahrt verstirbt. Falls diese Fälle nicht eintreten, muss der arme Passagier die Nacht über sitzen, stehen oder sich mit einem anderen Passagier das Bett teilen.

Nach erfolgreicher Durchführung aller dieser Schritte erhält man eine 1-zu-1 Kopie des indischen Eisenbahnsystems. Glückwunsch!

Ich habe meine Jungfernfahrt in einem unklimatisierten, 3-Bett-Schlafwaggon absolviert. Was ich natürlich nicht wusste: Man bekommt weder Decke noch Kissen in dieser Klasse, außerdem schließen die Fenster nicht richtig. Ich habe also bitterlich gefroren nachts, dazu noch mit dem Kopf auf dem Rucksack liegend war der Entspannungswert dieser Fahrt nicht gerade hoch. Angekommen sind wir aber trotzdem.

Lustig ist’s, wenn der Zug aus dem Bahnhof abfährt. Während eine Zugabfahrt in Deutschland sehr digital ist (Zug steht und kann bestiegen werden – Zug fährt und kann nicht mehr bestiegen werden) ist das in Indien eher ein fließender Prozess. Zum Abfahrtszeitpunkt setzt sich der Zug laaaangsam in Bewegung, mit offenen Türen natürlich. Die Leute schlendern allerdings immer noch auf dem Bahnhof entlang, manche springen rein, andere raus, keine allzugroße Hektik allerdings. Eile ist erst geboten, wenn der Zug das Ende des Bahnsteigs erreicht hat. Nach Passieren dieses Punktes werden die Türen allerdings immer noch nicht geschlossen, die bleiben einfach die ganze Fahrt über offen (außer jemand macht sie zu). Da kann man dann in der offenen Tür stehen und rausschauen, wie draußen die nachtschwarze Landschaft vorbeifliegt. Zwar ein bisschen gefährlich, aber sehr dicht am Leben draußen. Dann pufft man an lautstarken Hochzeitsgesellschaften, verlassen aussehend Dörfern oder belebten Straßen vorbei, Füße dicht über den Schienen und die Nase im Fahrtwind. Nice.
Blick aus der offenen Tür in perfekte, indische Nachtschwärze


Man bekommt im Zug – wenn man denn nicht mehr in der Tür sitzt – viel Kontakt mit Indern. Bis alle ins Bett gehen, sitzt man auf den untersten Liegen zusammen und schwatzt oder teilt essen miteinander und tauscht Tipps über das angesteuerte Reiseziel aus. Oder lässt sich einfach nur mit offenem Mund anstarren. Ooooooo, ein Westler...

Die Stadt Jodhpur – unser Reiseziel – ist auf jeden Fall eine Reise wert. Gelegen im unwirtlichen Rajasthan (einem Wüstenstaat) ist die Stadt noch viel indischer als Delhi. Überall laufen Kühe herum, die sich am Müll in den engen Straßen delektieren. Auch bekannt als die „blaue Stadt“, wegen der vielen mit Indigo gestrichenen Häusern, sieht die Stadt als Panorama von der alles überragenden Burg aus betrachtet sehr malerisch aus.
Blick von der Burg
Leider war ich am ersten Tag erstmal ein bisschen krank, vermutlich der unbequemen Zugfahrt geschuldet. Trotzdem habe ich die wichtigsten Sehenswürdigkeiten angeschaut, bin dann aber Abends ein bisschen früher ins Bett gegangen und habe mir den Schlaf zurückgeholt, den mir der kalte Wind im Schlafzug geklaut hat. Persönliches Highlight des Tages war die Fahrt von 8 Personen (inklusive Fahrer) in einer Autorikscha auf den Burgberg. Zum atemberaubenden Preis von 1,20€ (für alle) hat der Fahrer seinen Motor zum qualmen gebracht, mir in einigen Kurven das Gefühl gegeben, dass ich gleich aus dem Wagen falle und uns allen ein paar der schönsten Nahtoderlebnisse beschert, die man sich vorstellen kann. Nach dieser Fahrt sieht man sein Leben gleich wieder mit ganz anderen Augen!
Überlebt! Im Hintergrund schaut noch der Rickschafahrer kritisch seinen lebensmüden Fahrgästen hinterher

Am nächsten Tag haben wir die Burg von innen besichtigt, richtig gut. Es gab einen deutschen Audioguide und insgesamt viel zu sehen. Es gibt sogar noch den Original-Maharadscha! Der ist allerdings in sein Zweit-Schloss umgezogen, weil er vermutlich die Toristenhorden, die durch sein Wohnzimmer stapfen, ungemütlich fand. Nie treten die sich die Schuhe ab!

Auf der Rückfahrt am darauffolgenden Abend habe ich dann 2 € in die Hand genommen und mir ein Kissen und eine Decke gekauft. Damit wird so eine Zugfahrt doch gleich viel angenehmer.

Darüber hinaus habe diese Woche auch meine ersten Badminton und Squash-Erfahrungen gemacht. Allerdings muss ich feststellen, dass man sich wohl seinerzeit entschieden hatte, die Plätze und Hallen hier im IIT mit Betonboden auszustatten. Das hat nicht nur eine relativ bescheidene Dämpfungseigenschaft, sondern wird leider auch ganz ekelhaft glatt, sodass ich ernsthaft in Erwägung ziehe, die nächste Partie mit Schlittschuhen zu spielen. Mehr Grip hätte man damit auf jeden Fall.

DIE EIGENART DER WOCHE: Ich nehme einen Hopfentee…
Jaa, der Inder hat ein seltsames Verhältnis zu Alkohol. Die meisten Leute trinken hier entweder ordentlich, oder überhaupt nichts, irgendwas dazwischen scheint eher seltener vorzukommen. Alkohol ist allerdings auch nicht immer frei verfügbar, man bekommt ihn nur in speziellen Alkohol-Geschäften, also ein bisschen so wie in Skandinavien. Allerdings sind die Preise dort immer noch eher moderat – zumindest für die indischen Alkoholika – sodass der Zugriff auf den harten Stoff nicht wirklich beeinträchtigt ist.

Schwieriger sieht es allerdings für Gäste in der Gastronomie aus. Dort einfach ein Bier neben seinem Butter-Chicken zu schlürfen ist schon fast unmöglich, da man nur mit spezieller Alkohol-Lizenz Stoff ausschenken darf; und die haben nur wenige. Die Lokale, die eine haben, nutzen dass dann aus und sind tagsüber Restaurant, abends Bar und nachts Disco. So kann man fast rund um die Uhr ausschenken.

Das man in den meisten Lokalen kein Bier bekommt, stört den Inder an sich eher weniger; der hält sowieso von „mal eben ein Bierchen“ wenig. Unangenehm ist diese Regelung allerdings für die Lokale in Touristen-Gegenden, weil die – meist jungen Touris – genau nach so etwas verlangen. Was tut man also: genau, man schenkt illegal Alkohol aus. Da fährt dann der klapprige Lastwagen vor dem Lokal vor und es werden glasklappernd mit Tüchern verhängt Kästen und Kartons ins Lokal getragen. Was könnte da wohl drinnen sein? Und wie wird der Hopfensaft unauffällig serviert, wenn man bestellt: Richtig, in Teetassen. Darauf: Hoch die Tassen!

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