Freitag, 11. November 2011

Inder drehen am Rad - oder: die Formel 1 in Delhi

11. November 2011

Was hat die Inder letztes Wochenende ganz aufgekratzt werden lassen? Die Formel 1. Und warum? Weil es die erste Formel 1 in Indien war. Und wer hat dazu beigetragen, dass die ganze Geschichte dann auch tatsächlich erfolgreich über die Bühne ging? Genau…

Nun gut, man muss vielleicht dazusagen, dass mein Job nicht weltbewegend war. Ich war einer von vielen hundert Freiwilligen, die sich über ganz Indien verteilt bereit erklärt hatten ihre Zeit und ihr Gehör zu opfern, um die Organisatoren dieses Rennsportspektakels zu unterstützen. Die meisten dieser Freiwilligen hatten sich schon Monate im Voraus beworben und waren bereits vor zwei Monaten zu einem „ersten Probetraining“ angereist. Ich hatte das – je nach Betrachtungsweise – etwas (un)eleganter gelöst, und habe mich von einem Kollegen kurz-vor-knapp in diese Gruppe hoch motivierter Inder einschmuggeln lassen.

Nachdem also alle am Montag vor dem Rennbeginn in Delhi angekommen sind, werden wir in einer riesigen, noch unbezogenen Appartmentanlage einquartiert. Dabei werden die fertigen Appartments in „Hotelzimmer“ umfunktioniert: Betten reinstellen, abgepackte Seifenstücke in die Badezimmer, fertig. Die Versammlungshalle wird zum Restaurant, das Komplex-eigene Fitnessstudio zum Briefing-Raum und im Tischtennis-Raum kann man den Roomservice für sein „Hotelzimmer“ bestellen.

Nach der ersten Begrüßung teilen sich dann die Freiwilligen entsprechend ihrer zuvor eingeteilten Gruppen auf; dabei bin ich überrascht, wie viele Aufgaben bei so einem Rennen von Freiwilligen erledigt werden. Einige schwenken Flaggen, andere koordinieren den Funkverkehr, versorgen die vielen Leute mit Wasser und Essen und wieder andere sind „Fire Marshals“, zu der meine unbedeutende Wenigkeit gehört. Je nach Gruppe bekommt man dann eine Uniform zugeteilt, praktisch alle Helfer bekommen einen luftig-leichten Baumwoll-Overall, in Kombination zu tragen mit einer komfortablen Basecap. Die Feuerwehrleute bekommen hingegen einen 3-lagigen Aramid-Overall, eine flammhemmende Sturmhaube, eine Sicherheits-Schutzbrille, Aramidhandschuhe und – ich verfluche sie bis heute – 1100 V durchschlagfeste Gummihandschuhe, die über den Aramidhandschuhen getragen werden müssen um zu verhindern, dass sich die elektrischen Systeme der Rennwagen in die Helfer entladen. Schon alleine der Anblick dieser Montur treibt einem die ersten Schweißperlen auf die Stirn. Und später dann, nachdem wir alle auf unseren Positionen auf der Strecke abgeladen worden sind und unsere volle Montur in der Sonne anlegen, dürfen wir Feuerwehrleute feststellen, dass es unter der ganzen Ausrüstung noch deutlich wärmer ist, als sich das zuvor anhörte. Und während die Flaggenschwenker und Funker in einem kleinen Häuschen sitzen dürfen, müssen die Feuerwehrleute in der prallen Sonne stehen. Manchmal ist das Leben nicht fair.

Nachdem wir alle ja schon am Montag vor dem Rennen angekommen sind, sollten die nächsten Tage mit knallhartem Training gefüllt werden, um uns auf die anspruchsvollen Aufgaben vorzubereiten, die da kommen mögen. Die Organisation des Trainings ist allerdings ausgesprochen indisch; versprochen ist zum Beispiel ein Auto, das die Strecke abfährt, plötzlich anhält, der Fahrer aus dem Wagen springt und ein Schild „Feuer!“ hochhält. Daraufhin soll dann alles Rettungspersonal des entsprechenden Streckenpostens heranwuseln und eine Löschaktion simulieren. Problem allerdings in der Leitzentrale ist: niemand hat daran gedacht, das „Feuer!“ Schild zu besorgen. Nachdem das dann aufgefallen ist, aber alle Helfer schon in voller Ausrüstung an der Strecke stehen, versucht man – erfolglos – zu improvisieren. So wird die Übung nach 2 Stunden rumstehen einfach wieder abgesagt. So und ähnlich beschäftigen wir uns die nächsten Tage; das ist zwar nicht effektiv, aber eigentlich ganz amüsant.

An meinem Streckenposten stehen viele lustige Inder, mit denen ich viel scherze und Spaß habe. Das einzige Problem tut sich immer dann auf, wenn das Thema auf die Formel 1 fällt. Die lieben Kollegen sind natürlich alle überzeugte Fans und haben oft viel auf sich genommen, um diese Woche da zu sein. Ich hingegen habe keine Ahnung von Formel 1, mich aber mit dem Hinweis, ich sei ein großer Formel 1 Fan in die Helferschar schmuggeln lassen. Sobald also irgendjemand versucht, mit mir ein Fachgespräch anzufangen, bricht mir immer unter meinem eh schon heißen Overall noch mehr Schweiß aus. Oft sind die Gespräche noch relativ leicht für mich zu meistern, mit Dingen wie „Sehr schöne Strecke, sicherlich wird Vettel gewinnen, ja, Schuhmacher fährt auch sehr gut, aber Vettel ist besser“ in verschiedenen Variationen kann man sich sicherlich 20 Minuten über Wasser halten. Wenn dann allerdings das Thema auf andere Fahrer fällt – die ich samt und sonders nicht kenne – oder technische Details der Rennwagen – von denen ich genauso wenig Ahnung habe – wird das Gespräch immer gefährlich. In solchen Fällen sind die meisten Gesprächspartner zumindest zufrieden, wenn man viel lächelt und viel zustimmt. Und dann flott das Thema wechselt, zum Beispiel auf die Qualität des heutigen Mittagessens. Bei besonders hartnäckigen Fans kann man auch mit plötzlichem Harndrang der Aufdeckung der absoluten Ahnungslosigkeit entgehen; das habe ich in der meisten Zeit auch ganz gut gemeistert. Dann und wann bin ich allerdings doch blöd aufgefallen, wenn meine Fragen wohl zu dumm waren. Mein engster Verbündeter und bester Freund an meinem Streckenposten hat mich, glaube ich, auch durchschaut, zumindest den Blicken nach zu urteilen, die er mir manchmal zugeworfen hat und den Erklärungen für Dumme, die er mir irgendwann ungefragt angefangen hat mitzuteilen.

Zwischendurch treffen noch Unterstützungskräfte aus Bahrain ein, die vom Veranstalter aufgrund ihrer Erfahrung im Ausrichten von solchen Ereignissen eingeladen worden sind. Lustige Typen sind das, haben sich ausgehandelt, dass sie im besten Hotel der Stadt untergebracht werden, weil sie unsere Herberge zu dreckig und unhygienisch fanden (womit sie sicherlich nicht Unrecht hatten). Der Chef-Bahraini instruiere uns jeden morgen, ohne dabei jemals vergessen zu erwähnen, dass wir es ja alle gut hätten. „In Bahrein müssen die Feuerwehrmänner alleine, 5 Stunden in freier Wüste, in praller Sonne bei 45 °C Wache halten!“ Wir freunden uns trotzdem schnell mit unseren arabischen Mentoren an, auch wenn manche von ihnen seltsame Vorstellungen von Smalltalk haben (Ein professioneller Feuerwehrmann, der 40 Minuten aus seinem Berufsalltag von durchtrennten Körpern und verbrannten Menschen plaudert…)

Nach zwei Tagen knallharten Trainings ist Mittwoch erstmal frei, denn es ist Diwali, das Lichterfest. Zur Feier dieses hohen Feiertages wird das ganze Haus – innen und außen – mit Lichterketten, Kerzen, Öllampen und allem, was sonst irgendwie leuchtet geschmückt. Das sieht sehr schön aus, wenn man nachts durch die Stadt fährt und alle Wohnungen strahlen hell und einladend. Aber ein so dezentes Fest wäre ja wohl kein sehr indisches Fest, nur Lichter? Richtig, Böller und Feuerwerk gehört auch noch dazu. Und das nicht nur ein bisschen. Gezündet wird alles, vom Kinder-Kracher bis zur Multi-Kilotonnen-Bombe. Die meisten Kracher, die man hört, würden vermutlich sogar die meisten Polen zu brisant finden, die Sprengkraft scheint ungeheuerlich. Ich möchte nicht wissen, wie viele Gliedmaßen dieses Diwali getrennt von ihren eigentlichen Besitzern beenden. Neben Häuser-schmücken und ganze-Straßenzüge-in-die-Luft-jagen trifft man sich auch noch mit seiner Familie und guten Freunden, schenkt sich gegenseitig Süßigkeiten und verzehrt diese in ungeheuren Mengen. Ich feiere mit indischen Freunden, zuerst bei den Eltern eines Freundes, die bewusst versuchen, mich mit einem gezielten Zuckerschock  umzubringen, davon bin ich fest überzeugt. Danach wird bei einem anderen Freund weitergefeiert, dort mit weniger Süßwaren und mehr Bier, was wohl auch eine legitime Art zu feiern ist.

Tags drauf geht es wieder zurück auf die Strecke, damit wir dort in aller Herrgottsfrühe bereit für die nächste Übung stehen, die wieder nur ansatzweise stattfindet. Interessanter wird es dann am nächsten Tag, da fangen die ersten Vorrennen an, da sieht man dann die ersten vernünftigen Rennwagen. Und ich muss sagen: Auch wenn man die ersten paar Runden das unglaubliche Geräusch so eines Boliden – gerade als Maschinenbauer – noch als süßesten Violinenklang empfindet, ändert sich diese Empfindung ziemlich schnell. Dann sitzen die Ohrenstöpsel tief im Ohr, um das Kreischen und Jaulen notdürftig wegzufiltern.

Eigentlich kann man zu den Rennen an sich gar nicht viel sagen, an unserem Posten ist nämlich (leider?) nichts passiert. Ein abgeplatztes Stück Reifen, das jemand nach dem Rennen von der Strecke fischt, ist das höchste der Gefühle. Andere Streckenposten haben mehr zu tun, da gibt’s Zusammenstöße und Unfälle. Bei uns bleibt alles ruhig. Und ich hätte mich doch so über einen zünftigen Großbrand gefreut, um mal alle unsere Feuerlöscher ausprobieren zu können, aber man kann ja nicht alles haben.

Ich muss dann auch ganz ehrlich sagen: am Sonntag, als alles vorbei ist, bin ich dann doch irgendwie froh. Es ist körperlich doch sehr anstrengend, immer in der prallen Hitze zu stehen, mit der ganzen Schutzausrüstung. Und auch wenn wir immer Eisboxen voller Softdrinks und Wasser bekommen haben, die Verpflegung auch sonst gut war und man ja eigentlich „nichts macht“ bin ich fast jeden Abend todmüde ins Bett gefallen. Nach dem „großen Rennen“ am Sonntag stürmen alle Zuschauer nach draußen, Richtung Parkplatz, um die nächsten 4 Stunden einen riesigen Stau vor dem Gelände anzulegen, während die freiwilligen Helfer zur Tribüne stürmen, um sich dort ausgiebig selbst zu feiern. Nach ein paar Ehrenrunden in einem Feuerwehrauto über die Strecke mache ich mich auf den Weg zum Ausgang des Fahrercamps, wo viele meiner autogramm-geifernden Freunde harren, um die segensreiche Gestalt von Vettel und Co. zu erspähen. Ich mache mit einigen meiner Freunde Abschiedsfotos, was einen interessanten Schneeballeffekt auslöst. Wenn so viele Leute mit dem unbekannten Westler Fotos machen, wird er wohl berühmt sein. Schlussfolgerung: ich will auch ein Foto. So mache ich also noch 15 Minuten, durchgeschwitzt und müde, mit wildfremden Menschen Fotos, die mich für reich und berühmt halten.

Später am Abend dann die Aftershow Party. Ich habe Spaß, meine indischen Kollegen beklagen allerdings, dass es wie eine Hochzeit im Punjab aussehe. Ich freue mich, auch mal eine Hochzeit im Punjab gesehen zu haben und tue mich weiter am riesigen Buffet gütlich, während auf 9 abgetrennten Quadratmetern vor der Soundanlage 120 Inder begeistert die Hände in die Luft werfen und bis zum Umfallen zu stampfendem Bollywood-House tanzen.

Am nächsten Tag folgt dann der tränenreiche Abschied, Facebook Adressen werden ausgetauscht und die Vorfreude auf das nächste, indische Rennen – und ein damit einhergehendes Wiedersehen – wird kommuniziert. Ich habe seitdem 90 neue Facebook-Freunde, die jeden Tag ein anderes Foto von sich vor einem Rennwagen hochladen. Ich bin froh, dass mich jemand in seinem Privatauto bis zur nächsten U-Bahn-Station mitnimmt, fahre bis zu mir nach Hause und falle dort, betäubt von einer anstrengen Woche, ins Bett und schlafe erstmal richtig aus.


Die Eigenart der Woche: KLOSTEINE

Ja, irgendwie hat man in Asien ein ganz besonderes Verhältnis zu den Dingern. Auch in China ist mir der häufige Gebrauch derselben schon aufgefallen, aber in Indien ist er noch extremer. Hier ist ein Klostein ein eindeutiges Muss bei einem halbwegs gepflegten Klo. Zur weiteren Klopflege reicht dann eigentlich auch, neben den langweiligen Klassikern wie „Scheuern“ und „Schrubben“, einfach weitere Klosteine hinzuzufügen. So trifft man bei besonders siffigen Pissoirs in besonders stinkenden Hausecken üblicherweise einen großen Kugelhaufen bunter Klosteine, die ausgiebige Pflege simulieren.

Die konsequente Fortführung ist dann natürlich auch die Pflege von Waschbecken, die ebenfalls mit Klosteinen realisiert werden kann. Es gibt ja eigentlich keinen systematischen Unterschied zwischen Pissoir und Waschbecken (oben Wasser rein – unten Wasser raus). Wenn der geneigte Leser also das nächste mal überlegt, wie er sein Waschbecken sauber bekommt: Erstmal einen Klostein reinlegen und dann irgendwann anders vielleicht noch mal drüber nachdenken…

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